Nur das Schöne kann uns noch retten

Lanzarote, heißt es, gäbe es ohne ihn gar nicht: César Manrique machte aus dem vermeintlichen Schandfleck im Atlantik ein Architekturjuwel.

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César Manrique hatte nichts gegen Touristen. Es sollten nur die richtigen sein. Die kultivierten, neugierigen, empfindsamen. Die, die Lanzarote so liebten wie er. Manrique war Künstler, er war auf der Insel geboren, und er hatte eine Mission: Kunst und Architektur sollten eine Symbiose eingehen mit der kargen Landschaft des Eilands, sie sollten sich gegenseitig bedingen. Jene, die das nicht verstanden, verabscheute er mit großer Leidenschaft: impertinente Spekulanten, Bettenburgenbauer, Immobilienmagnate, die schon die übrigen Kanaren mit ihren Bunkerbauten verschandelt hatten. „Wo man keine Blüte sieht und keine Sterne“, fragte Manrique, „nur Zement, wie soll man da Urlaub machen können?“

César Manrique war Maler. 1939 war keine gute Zeit, um Maler zu werden – Manrique kam gerade aus dem Bürgerkrieg, 20 Jahre alt. Durch seinen Vater, einen Handelsreisenden, hatte er sich früh in das Werk von Picasso und Matisse verliebt. Er studierte Bauingenieurswesen in Teneriffa und entwickelte sich nebenbei zu einem der ersten Surrealisten des Landes. Auf Fotos sieht man einen jungen Mann mit stolzer Brust und kleinem Moustache. Mit 23 Jahren stellt er in Lanzarote zum ersten Mal aus. Doch Manrique reicht die Leinwand nicht.

„Man muss die Kunst zum Leben erwecken“, sagte er. „Ich glaube, dass alle zeitgenössischen Künstler ihr Talent ins Leben übertragen müssen, um die Umwelt zu schützen. Sie sollten nicht nur malen oder Skulpturen machen, sondern Architektur, Städte und Gärten, Zimmermannsarbeiten, Literatur!“ Er kaufte Ruinen und restaurierte sie, fuhr oft in die Natur und schaute sich an, was kein Künstler schaffen konnte: die ewige Weite der kargen Lavaströme.

Als seine Frau 1963 stirbt, geht Manrique nach New York. Er genießt die Zeit, und doch macht die Stadt ihn mürbe. Er will zurück nach Lanzarote, will die Insel zum schönsten Ort der Welt machen. Der Tourismus liegt noch in seinen Anfängen, und Manrique, der neue Weltenbürger, will die Entwicklung nicht den Provinzpolitikern überlassen. Bei einem Spaziergang entdeckt er einen Feigenbaum in einer Lavablase und daneben vier weitere Höhlen. Er bittet den Eigentümer, einen befreundeten Arzt, ihm das drei Hektar große Grundstück zu verkaufen. Der sagt: „Junge, nimm, was du willst, es ist sowieso nichts wert.“ 1970 baut Manrique hier sein Haus: Taro de Tahíche.

Oben orientiert er sich an der klassischen Architektur: kubische Bauform, weiße Fassaden, grüne Fensterläden und Türen, ein Zwiebeltürmchen. Ein puristisches Haus gegen die schroffe, zerklüftete Lava. Drinnen bringen große Fenster den gewaltigen Strom nach innen. Egal wo man steht, man blickt immer nach draußen. Heute stehen da Häuser. Früher stand da: nichts. Manrique dekoriert das Haus mit Fundstücken von der Insel. Die Decke ist mit alten Schiffs- und Strommasten vertäfelt. Einen Wald gibt es auf Lanzarote nicht.

„Die Leute haben gesagt, auf Lanzarote gebe es nur Kamele und Steine, es sei die hässlichste Insel der Kanaren. Diese Leute verstehen von Schönheit nichts.“ Die traditionelle Architektur, sagte er, fänden sie alt und nutzlos und bauten stattdessen „Häuser aus Pappe und Draht“. Er konnte sich in Rage reden über die „faschistische Architektur“ der Kanaren. „Das hätte nicht einmal Mussolini erlaubt.“ Auf die Frage eines „Spiegel“-Reporters, was man machen könne gegen die 08/15-Behausungen, sagte er: „Dynamit, sprengen, weg damit.“

Am Morgen steht Manrique auf, zieht den Blaumann an und rennt mit seinem Hund über die Lava. Wenn er nicht malt – und er malt viel –, läuft er in Badehose oder nackt herum. Für César Manrique existierte die Zeit nur in den Köpfen der Menschen. Er selbst fühlte sich keinen Deut älter als 25. Und so lebte er auch: Wer einer Wendeltreppe im Eingangsbereich nach unten folgt, erreicht eine nach außen hin verborgene Welt. Manrique hatte alle fünf Lavablasen erschlossen, jede fünf Meter im Durchmesser und jeweils verbunden durch einen Tunnel. In Kontrast zur rauen Lava setzte er weiß gekälkte Wände und ausladende Sofalandschaften.

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Viele Freunde besuchten ihn in diesen Grotten, Fotografen und Models und der Jetset; sie tanzten und tafelten und sprangen nackt in den Pool, der sich ebenfalls hinter einem Felsvorsprung versteckt. „Ich habe viel Spaß, aber gleichzeitig bin ich tieftraurig zu sehen, wie billig der Mensch ist. Tollpatschig und dumm“, sagte Manrique. Er wollte die Menschen mit der Natur versöhnen und achtete scharfzüngig darauf, dass niemand seine Bemühungen als romantischen Patriotismus abtat. Er vertrat die Ansichten eines weltgewandten Bürgers. Aus dem Künstler wurde bald ein Kämpfer. Mit Pepín Ramírez Cerdá, dem Präsidenten der Inselregierung, verband ihn seit Kindheitstagen eine enge Freundschaft. Das führte dazu, wie man sich heute erzählt, dass Häuser auf Lanzarote nicht höher als eine Palme sein dürfen. Manrique prägte die Insel, wie sie kein Politiker zu prägen vermochte; fast alle Attraktionen hat er gemalt, gebaut, entworfen. Doch mit dem Alter wird der Kampf aussichtsloser. Mehrfach droht Manrique, Lanzarote den Rücken zu kehren, und doch bringt er es nie übers Herz.

1986 schreibt er ein Manifest: „Lanzarote liegt im Sterben“. Immer mehr Touristen kommen, täglich klopfen sie an seine Tür. 1988, vier Jahre vor seinem Tod, verlässt er das Haus und zieht noch weiter raus aufs Land, in ein einsames Bauernhaus. Er widmet sich wieder verstärkt der Malerei. Taro de Tahíche macht er zu einem Museum. In der Küche hängen heute Miró, Picasso und Tàpies, ein kleiner Anbau zeigt Manriques avantgardistische Kunst. Heute ist Taro de Tahíche die bekannteste Attraktion Lanzarotes, Anlaufpunkt für die Kultivierten, die Empfindsamen, die Neugierigen.

Erschienen in AD Architectural Digest am 9. November 2016.



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