Sandfinsternis über Teheran
Als die Temperatur binnen weniger Minuten von 33 auf 18 Grad fiel und der Himmel über Teheran sich schlagartig verdunkelte, offenbarte sich, dass die aufziehenden Wolken nicht Vorboten eines gewöhnlichen Unwetters gewesen waren. Am Montagnachmittag, viertel nach fünf, überrollte der schlimmste Sandsturm seit 50 Jahren die iranische Hauptstadt. Während vereinzelt Menschen zum Himmel beteten und einige überrascht Aufnahmen von sich vor dem sandfarbenen Firmament machten, beobachteten andere, die sich in Ladengeschäfte geflüchtet hatten, beunruhigt die Lage. „So etwas habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen“, sagte eine verdutzte Iranerin.
Die staatliche Nachrichtenagentur IRNA sprach von einer Windgeschwindigkeit von bis zu 130 Stundenkilometern, mit der der Sturm über die Stadt fegte. Mindestens fünf Menschen starben, als sie von herabstürzenden Bäumen und Baugerüsten erschlagen wurden. Eines der Opfer erlag am Dienstag seinen schweren Verletzungen. 30 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Der Verkehr in der ohnehin staugeplagten Stadt kam zeitweise zum Erliegen. Auf der Schnellstraße von Teheran ins südlicher gelegene Qom stießen bei schlechter Sicht zwei Dutzend Autos in einem Serienunfall zusammen, zehn Menschen wurden verletzt. Im Anschluss an den Sandsturm setzten bei heftigem Wind schwere Regenfälle ein, die den Sand auf Straßen, Autos und Häuser spülten.
Der Verkehr am Inlandsflughafen Mehrabad und dem internationalen Imam-Khomeini-Flughafen der Hauptstadt war für kurze Zeit ausgesetzt worden, Inlandsflüge wurden zu Flughäfen im Innern des Landes umgeleitet. 50.000 Haushalte in Teheran waren mehrere Stunden vom Strom abgeschnitten. Nach Angaben der Stadtverwaltung wurden 7000 Nothelfer ausgesandt. Auch die offizielle Abschiedsfeier der Fußball-Nationalmannschaft, zu der Präsident Hassan Rohani das Team zur Weltmeisterschaft nach Brasilien verabschieden wollte, wurde wegen des Staubsturms kurzfristig abgesagt. Gegen 19 Uhr hatte sich die Lage in der 14-Millionen-Stadt wieder merklich beruhigt, abseits geborstener Scheiben, herabgestürzter Bäume und Trümmern von Hausteilen gingen die Teheranis beinahe unbeeindruckt ihren Geschäften nach.
Anfang Juni bildet sich über der arabischen Halbinsel der Schamal-Wind, der oft Wüstensand mit sich trägt. Normalerweise zieht der Schamal über Irak und den Süden Irans – ein starker Schamal kann von Somalia bis Indien reichen. Der diesjährige Schamal, der am ersten Juni einsetzte, zog also bis nach Teheran, in dessen Umkreis es am Wochenende zudem heftige Unwetter gegeben hatte. Das begünstigt Staubstürme, die entstehen, wenn Abwinde von Gewittern aufgewirbelten Staub aus der Wüste zu einer gewaltigen Wand transformieren, die vom Erdboden bis mehrere Kilometer in den Himmel reichen kann. Die Sicht innerhalb der Wolke ist auf wenige Meter begrenzt, die Luft von feinen Staubpartikeln gefüllt, das Atmen fällt schwer.
Der Schamal in Teheran hatte offenbar selbst die Meteorologen überrascht. Am Tag nach dem Sturm musste sich Ahad Vazifeh, Chef der Wetterbehörde, nachdem die Medien mit ihm hart ins Gericht gegangen waren, öffentlich erklären. Vazifeh versicherte, entsprechende Stellen gewarnt zu haben, allerdings sei seiner Behörde das Ausmaß des Sturms nicht vorhersehbar gewesen. In diesem Zusammenhang warnte er vor einem weiteren Staubsturm am Dienstagnachmittag und Unwettern in der Stadt bis zum Mittwoch. Ausgerechnet an diesem Tag soll in Teheran des Todes von Imam Chomeini vor 25 Jahren gedacht werden. Dazu werden Hunderttausende Iraner in der Stadt erwartet.
So etwas habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen“, sagte eine verdutzte Iranerin.
Erschienen in Frankfurter Allgemeine Zeitung am 3. Juni 2014.