Bauhaus verpflichtet
Erst kam die Abmahnung vom Baumarkt, dann der internationale Erfolg. Der bemerkenswerte Aufstieg des Trios von New Tendency
Das Haus von Luis Barragán sieht von außen aus wie ein Gefängnis. Der Architekt hatte es 1948 in einen Vorort von Mexiko-Stadt gesetzt, ihm eine graue Fassade verpasst und die Fenster vergittert. Seine wahre Schönheit offenbart es erst, wenn man es betritt: Eine goldene Leinwand im Vestibül reflektiert die Sonnenstrahlen, die durchs Fenster dringen und das in Altrosa gehaltene Treppenhaus in goldenes Licht tauchen. Als Manuel Goller das Haus während einer Mexiko-Reise besichtigt und die starken Farben sieht – die Räume in Rosa, Blau und Gelb –, da weiß er: Das sind die Farben, die er gesucht hat.
Manuel Goller kennt die Bedeutung der Farben, sie können nicht nur Orten ein völlig neues Gewand geben, sondern auch Dingen. Das Haus von Barragán ist formal sehr streng, doch die starken Farben brechen diese Strenge auf. Ein Fest der Farben. „Der Besuch war ein Erlebnis“, sagt Goller, „plötzlich kommt man in diese Welt, die voller Poesie und Wärme ist.“ Goller spricht auch oft von „Poesie“, wenn er von Möbeln spricht, die er mit seiner Marke New Tendency vertreibt, vom Beistelltisch „Meta“ etwa, einer zeitgenössischen Interpretation eines Rietveld-Entwurfs. Ein präzise gearbeitetes, sehr grafisches, beinahe zweidimensionales Objekt aus gefaltetem Stahl, das von vorn fast unscheinbar wirkt, leicht und filigran, von der Seite aber solide und schwer, wie eine Skulptur.
Bis heute ist „Meta“ das Aushängeschild der Marke New Tendency, die Manuel Goller mit seinem Bruder Christoph und dem Designer Sebastian Schönheit führt. New Tendency macht Möbel, aber New Tendency ist keine Möbelfirma, weil Möbelfirmen oft aus Handwerksbetrieben entsprungen sind und New Tendency sich zwar auf zeitgenössisches Design versteht, nicht unbedingt aber nur auf Möbel. „Wir sprechen viel, bevor wir an den Entwurf gehen, um ein Objekt so zu reduzieren, dass es wirklich auf den Punkt ist“, sagt Manuel Goller. Obwohl die Produkte oft sehr schlicht aussehen, sollen sie nicht „brutal funktional“ sein, sagt er, es solle auch eine „gewisse Poesie“ mitschwingen.
Der Tisch „Masa“ etwa, schon heute gern von Architekten genutzt und langsam auch bei Dax-Konzernen auf dem Vormarsch, ist in seiner Grundidee eigentlich ein Esstisch. Die diagonal verlaufenden Beine bringen in bester Jean-Prouvé-Manier Beinfreiheit, man kann sie abnehmen, er funktioniert über seine Leichtigkeit. Der „Bar Stool“, der in Zusammenarbeit mit dem Magazin „Wallpaper“ entstand und von der bayerischen Stuhlmarke Wagner produziert wird, kommt ebenso unkonventionell daher. Oben mit Stoff von Kvadrat bezogen, untenmit Standfuß. Wer sagt schon, dass ein Barhocker vier Beine hat?
Von Vierbeinern, also Stühlen, wollten sie ohnehin die Finger lassen (die ergonomischen Anforderungen waren ziemlich abschreckend), bis der Freistaat Thüringen fragte, ob man für die Expo in Mailand nicht was machen könnte. „Wir haben nicht versucht, den komfortabelsten Stuhl zu gestalten, sondern bewusst damit zu brechen, dass man diesen ganzen Anforderungen zu folgen hat“, sagt Manuel Goller. Dafür ist er erstaunlich bequem: „Throne“ ist ein feingliedriger Armlehnenstuhl, der an den archetypischen „Monobloc“-Gartenstuhl erinnert, wenngleich in einer noch reduzierteren Luxusversion.
In Deutschland, heißt es oft, gibt es nur drei große Designer der Gegenwart: Sebastian Herkner, Stefan Diez und Konstantin Grcic. Herkner sitzt in Offenbach, die anderen beiden in München. Andere haben es schwer, sich zu etablieren, Deutsche kaufen gern Design aus dem Ausland oder bleiben bei den altbewährten Klassikern, am besten in gedeckten Farben – da kann man nichts falsch machen. Das, was New Tendency baut, ist auf dem besten Wege, selbst Klassiker zu werden: Ihre Produkte zeichnen sich durch starke Farben aus, durch das Spiel mit Perspektiven und Proportionen, Volumen und Gewicht. In einer hellen Fabriketage eines Hinterhofs direkt am sogenannten Kotti in Kreuzberg entstehen ihre Entwürfe. Ihre Arbeitszeiten sind für Berliner Designer ungewöhnlich – sie stehen sehr früh auf, weil die meisten Produzenten in Süddeutschland sitzen.
An der Bauhaus-Universität in Weimar lernte Manuel Goller Sebastian Schönheit kennen. Die Schule, die sich in der Tradition des 1919 von Walter Gropius gegründeten Staatlichen Bauhauses sieht, will, wie ebenjenes, den Austausch aller Künste vorantreiben. Die Grenzen zwischen Architektur, Grafikdesign und Mode sollen aufgelöst werden. In Weimar konnte man konzentriert arbeiten: „Da ging man am Wochenende nicht ins Berghain“, sagt Goller, „sondern man kochte zusammen, feilte an Ideen, probierte sich aus.“ Designer Schönheit ergänzt: „Man lernte, die Dinge zu Ende zu bringen. Und keine Angst zu haben. Das hilft uns noch heute.“
Das Bauhaus verbindet man mit großen Namen, mit Walter Gropius, Mies van der Rohe, Kandinsky und Klee; Marcel Breuer und Wilhelm Wagenfeld. Ihre Entwürfe sind wie ihre Namen weltbekannt. An der Bauhaus-Universität studieren zu dürfen ist deshalb nicht nur ein Privileg, sondern auch eine Bürde. Ein Studienfreund Gollers prägt aus einer Laune heraus den Ausspruch „My Bauhaus is better than yours“. Eine ironische Anspielung auf die Popularisierung desBegriffs. „In Weimar gibt es von der Bauhaus-Bäckerei über den Bauhaus-Kaffee alles“, sagt Manuel Goller, und jeden Tag wurden die Studenten mit seiner Lehre konfrontiert. „Der Spruch hat uns geholfen, diesen schweren Begriff von den Schultern zu bekommen.“
Auf der Möbelmesse in Mailand 2009 erregen Goller und seine Freunde damit viel Aufsehen. Sie drucken das Motto auf Jutebeutel, die sich tausendfach verkaufen. Der Name wird der Titel von Gollers Diplomarbeit, mit Freunden startet er ein Designkollektiv, ein Netzwerk für Möbel in kleinen Auflagen. „My Bauhaus is better than yours“ trifft einen Nerv, denn das Bauhausist heute alles und nichts. Die Schule, bekannt für ihre kühle, reduzierte Form, gilt als Heimathafen der klassischen Moderne. Bauhaus, das sind Flachdach, Fensterbänder, große Leere und bloß keine Ornamente. Interdisziplinäres Arbeiten: Das ist Bauhaus. Das ist aber auch eine Investmentbank in Madrid, ein Hostel in Brügge und eine britische Gothic-Band. Das Bauhaus ist für viele zur Projektionsfläche für alles geworden, was reduziert ist und clean. Manche sagen: Apple ist Bauhaus.
Nach dem Studium will sich Goller mit dem Designkollektiv selbständig machen. Er hat gerade seinen Job gekündigt, als einen Tag vor einer Messe eine Abmahnung vom Bauhaus, dem gleichnamigen Baumarkt, im Briefkasten steckt. Streitwert: 250 000 Euro. Das Unternehmen sieht seine Markenrechte verletzt. „Wir hatten gedacht, dass wir mit der Stiftung oder dem Bauhaus-Archiv Probleme bekommen“, sagt Goller. „Aber die fanden ganz toll, was wir machen. An den Baumarkt hatten wir gar nicht gedacht.“ Die Fakten liegen schnell auf dem Tisch: Die Baushaus AG hat sich das Wort umfänglich schützen lassen, unter anderem auch für „Möbel“.
Das klingt paradox: ein kulturhistorischer Begriff in der Hand eines Heimwerkermarktes? Der Gründer des Baumarktes, Heinz-Georg Baus, ließ sich den Namen 1960 schützen. Er hatte freie Hand: Das Staatliche Bauhaus unter Mies van der Rohe hatte 1933 auf Druck der Nazis schließen müssen, seine Vertreter waren in die Vereinigten Staaten geflohen. Als Baus den Namen schützte, gab es niemanden, der ihm widersprach. 1972 klagte das Bauhaus-Archiv gegen Baus – und verlor. Nicht einmal Re-Editionen der Klassiker darf es verkaufen. Baus starb im Mai 2016, doch die Markenrechte bleiben beim Unternehmen.
Goller gegen den Baumarkt, das war wie David gegen Goliath; darüber berichtete selbst die „New York Times“. Heute ist Goller noch betrübt, dass sich jemand einfach so deutsches Kulturgut sichern kann. „Dem muss man doch mit Respekt begegnen. Aber das zu bekämpfen, kann nicht unsere Aufgabe sein.“
Goller und seine Freunde firmieren binnen einer Woche um. Neuer Name: New Tendency. Das klingt gut, das klingt optimistisch und richtungsweisend. Sein Bruder sieht den Beginn einer neuen Zeit: „Wir wurden auf den Boden geholt. Und es war klar: Jetzt fangen wir erst richtig an.“ New Tendency hat mittlerweile sechs Mitarbeiter, 50 Händler in Deutschland. Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt hat gut 50 „Masa“-Tische geordert, das Staatsministerium Baden-Württemberg hat seine Außenbereiche von New Tendency möblieren lassen. Und auch der Schreibtisch des Generalintendanten der Elbphilharmonie ist ein Entwurf von New Tendency. In Deutschland haben Daimler und SAP angefragt, selbst für einige amerikanische Großkonzerne in den Vereinigten Staaten sollen die Berliner jetzt die Büros ausstatten. Bauhaus ist auch in den Vereinigten Staaten ein gutes Stichwort. Schließlich hatte der emigrierte Walter Gropius seine Ideale in Harvard weiterverbreitet.
Dabei hat es den einen Bauhausstil nie gegeben. New Tendency bewegt sich zwischen Neuer Sachlichkeit und De Stijl, jener niederländischen Bewegung, deren bekannteste Vertreter Piet Mondrian und Gerrit Rietveld waren. Dessen ikonographischer „Red and Blue Chair“ war eines der ersten Designstücke dieser Richtung. Rietveld war ein Vorbild für „Meta“, aber es ist egal, ob die Vorbilder nun Rietveld, Rem Koolhas oder Raf Simons heißen.
New Tendency arbeitet gerne mit Leuten, die noch nie Möbel in Serie produziert haben, etwa dem Galeristen und Künstler Clemens Tissi. „Er war kein Gegner serieller Produktion, sondern von der Art und Weise, wie von Produktionsfirmen heute mit Entwürfen umgegangen wird. Da werden Material und Fertigungsmethoden geändert, damit es günstiger ist, und wo früher Fiberglas war, ist plötzlich Spritzguss.“ So entstand die Leuchte „Yuhi“ mit zwei identischen Bauteilen, bei der der Benutzer über die Form entscheidet und so Herr über Licht und Schatten ist. Zusammen mit dem Pariser Mode- und Designlabel Études Studio entwickelt New Tendency eine Sonderedition von „Meta“; der Berliner Designer Sigurd Larsen, den sie auf einem Botschaftsempfang kennenlernten, entwirft für sie das Regalsystem „Click“. Für das niederländische Brillenlabel Ace + Tate bauen sie einen Flagshipstore.
Sie entwickeln die Bauhaus-Idee des interdisziplinären Austauschs ständig weiter. Fotografen wie Amos Fricke und Jonas Lindström, die sonst Kenzo, Fendi oder Calvin Klein in Szene setzen, setzen ihre Produkte ungewöhnlich in Szene. Goller: „Wir wollen an einem Gesamtkunstwerk arbeiten, keinen blassen Katalog rendern. Modefotografen haben einen anderen Blick.“ Im aktuellen Katalog sieht man viele Produkte auch im Close-up. „Die Bilder zeigen Ausschnitte der Möbel“, sagt Manuel Goller, „aber im Detail erinnern sie an die Architektur Barragáns.“
Erschienen in Frankfurter Allgemeine Quarterly am 17. November 2016.