Sie baumeln wieder

Woher kommen eigentlich diese Brustbeutel? Ohne „mobilväska“ traut sich in Stockholms hippem Stadtteil Söder kaum noch ein Mensch auf die Straße. Die Zeiten, in denen der Brustbeutel unter zu großen Poloshirts von behaarten Männerbrüsten durchnässt wurde, scheinen ohnehin vorüber, seit die Hubba-Bubba-Generation der Achtziger und Neunziger ihn mit Delphinmotiven und in quietschbunten Farben aus den Fängen der Altherrendomäne befreite und zum Statussymbol einer Jugendkultur erhob.

Dass der Brustbeutel denn auch mehr Accessoire als Utensil sein kann, zeigte Raf Simons mit seiner Jil-Sander-Herrenkollektion für Frühjahr und Sommer 2012, mit Brustbeuteln in lebhaft buntem Pythonleder. Und jetzt, im Sommer 2012, durchlebte der Brustbeutel vor allem in skandinavischen Ländern eine erstaunliche Renaissance. Ist es die Krise? Der Brustbeutel gilt schließlich als Misstrauen in Nähten. In ihm verstecken sich Angst und Hilflosigkeit. Lange war er nur sicherer Hafen für Wertsachen und Dokumente. Es gibt, das wissen risikoerfahrene Reisende, mit Wadenbeuteln oder Geldgürteln weiß Gott schlimmere Verstecke. Und doch lässt der Brustbeutel einen vermeintlichen Weltbürger wie einen Hinterwäldler aussehen.

Das ficht Stockholms junge Kreative nicht an. Sie tragen den Brustbeutel allerorten, über der Kleidung, und lassen ihn in neue Sphären baumeln: An Frauen wirkt er in mancher Ausführung wie eine praktische Kette, mehr Hals- als Handtasche, mehr Bauch- als Brustbeutel. Eine Clutch müsste man schließlich die ganze Zeit in der Hand halten! Aber was steckt nun eigentlich im Beutel der jungen Schweden? Geld ist es jedenfalls nicht. Es ist etwas, das vielen heute viel wichtiger ist als der Mammon und die Papiere. Ein Gegenstand, der im Leben vieler erst einen Sinn zu stiften scheint: Es ist das iPhone. Und deshalb heißt der Brustbeutel in Schweden auch nur „mobilväska“: Handybeutel.

Bei Etsy schreiben sie dann auch sicherheitshalber hinzu, dass es sich bei der angebotenen alten Tasche eigentlich nicht um einen Brustbeutel im herkömmlichen Sinne handelt, sondern vielmehr um einen iPhone-Beutel. Vintage, versteht sich.

Erschienen in Magazin Z der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 17. Oktober 2012.



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