Allein unter Palmen

Im Paradies sind es 29 Grad, als der schwere Vogel zum Stillstand kommt und einen Menschen nach dem anderen auf den harten Betonboden spuckt. Nebendran der Privatjet eines russisch-israelischen Oligarchen, der Einreiseverbot in Kanada hat, weil ihm Geldwäsche und Waffengeschäfte vorgeworfen werden. Auf den Malediven ist das egal. Über dieses Rollfeld müssen alle gehen. Die Guten, die Bösen, die Pauschaltouristen und die Privatiers. Vor dem Flughafen ihrer Hauptstadt Malé sind alle Menschen gleich, jeder setzt den ersten Fuß auf den Beton der künstlich aufgeschütteten Insel und läuft in das kleine Empfangsgebäude, bevor sich alle Wege trennen. Die einen, die Arbeitenden, zieht es in die nahe Hauptstadt Malé, die alle anderen nurmehr aus der Luft betrachten werden, bevor es sie weiter zieht, dahin, wo das Wasser noch türkisfarben ist und die Strände das gleißende Licht der Sonne zurückwerfen.

Ich wurde frisch aus Frankfurt angespült, es ist Samstagmorgen, die Augen noch klein von der Nacht auf Sitz 26K. Die Deutschen wissen Frankfurt oft nicht zu schätzen. Aber die Stadt, in der die meisten Menschen, die man auf der Welt trifft, schon einmal gewesen sind (but only at the airport, natürlich), sollte man als Tor zur Welt nicht kleinreden. So kann man leicht am Freitagabend in die Welt hinausfliegen. Die ganzen Städtetrips sind aber langsam durch. Es ist also an der Zeit für ein entspanntes Ziel, am besten nicht von dieser Welt: die Malediven.

Die neun Buchstaben genügen, um Kollegen in Aufruhr zu versetzen. “Warum?”, “Weshalb?”, “Wieso?” Dabei sind es nur die Malediven. Und doch klingt das sonderbar dekadent: Der Inselstaat steht als Synonym für ungezügelten Luxus. In der Kernfrage aber geht es nur um die Verhältnismäßigkeit: Wie viel ist mir der Abstand von der normalen Welt wert? Ob es lohnenswerter wäre, für 14 Tage zu fliegen? Wissenschaftler haben herausgefunden, dass der Grad der Erholung nicht mit der Aufenthaltsdauer korelliert. Wesentlich mehr Menschen in Deutschland setzen auf kürzere, dafür häufigere Auszeiten. Warum also nur für zwei Tage auf die Malediven? Weil ich Montag wieder arbeiten muss.

Zugegeben: Hätte ich vorher gewusst, dass der Transfer zum Resort fast auf den Flugpreis nach Malé hinauskommt, ich hätte es mir vielleicht anders überlegt. Aber das war eine kurzfristige Sache. Ich wollte weg, mal wissen, wie das ist, in so ein Bildschirmschoner-Idyll einzutauchen, bevor die Inseln eines Tages unter dem Meeresspiegel versinken. Und ich wollte Sonne tanken.

Früher, als die Malediven noch exklusives Territorium waren, Neuland sozusagen, ging es von Malé mit dem Wasserflugzeug weiter in die teuren Resorts. Weil aber die Touristenzahlen stetig steigen, werden auf vielen Inseln reichlich Regionalflughäfen gebaut, von denen die Urlauber dann mit Speedbooten auf umliegende Inseln verteilt werden. Mein Hotel verfügt praktischerweise über eine eigene Fluglinie, die eine alte ATR 42 des Alpenfliegers Air Dolomiti gekauft und ein paar kaugummikauende Flugbegleiterinnen dazubestellt hat, die braungebrannt und mit bis zum BH aufgeknöpfter weißer Bluse auf hohen Hacken durch ihre Ray-Ban-Brille blicken. Schwer vorstellbar nur, dass wir hier in einem muslimischen Inselstaat sind, in dem diese Freizügigkeit genau wie der Konsum von Schweinefleisch und Alkohol eigentlich verboten ist. Kurze Zeit später landen wir auf dem kleinen Flughafen Dharavandhoo, von wo es direkt ins Speedboot geht; nach einer Viertelstunde sind wir da. Kurze Begrüßung, dann die ungläubige Frage: Sind Sie etwa allein gekommen? Ja. Also nein. Mit Rucksack. Kommt wirklich niemand mehr nach? Nein. Kurzes Tuscheln, großes Staunen. Es braucht nicht viel, um das Personal hier zu überraschen.

Mein Resort wurde offenbar, lese ich später, zum “Global Best Luxury Romantic Hotel 2013″ bei den “World Luxury Hotel Awards” gewählt. So sitze ich, umgeben von russischen Flitterwöchelnden, auf einer Insel im Pazifischen Ozean, und alle turteln und kichern, und es ist der Garten Eden auf Erden. Die Malediven sind archetypisches Flitterwochenland. Manche kommen und zahlen für diese Mündigkeitsentziehungskur bis zu 10.000 Dollar am Tag. Ich nur ein paar Hundert. Für die Malediven ein Witz. Es reicht gerade noch aus, damit mich Fazeel, mein “Room Boy”, zur Strandvilla geleitet.

Auf der Insel duftet es wie in einem Tropenhaus. Bengalische Feigen hängen träge in der feuchtwarmen Luft, Vögel kreischen. Wie hier alles wächst! Der Wahnsinn. Molukkenbohnen, Gurken- und Brotfruchtbäume, Seidenpflanzen, Sonnenwenden, Orchideen, allerhand Zitrusfrüchte, Flammenbäume, Küstenhibisken, Papayas und Guaven sowieso, Wunderbäume, Wachsäpfel, Fächerblumen. Das einzige, was noch ans Büro erinnert, ist der Bogenhanf. Die Villa am Strand ist aus Merbau-Holz, was immer einen faden Beigeschmack hat, weil das oft illegal in West-Neuguinea abgeholzt wird. Es gibt eine Outdoor-Dusche, Fernseher, Minibar und noch einige weitere unnötige Annehmlichkeiten. Ich schalte die Klimaanlage aus, klappe den Rechner auf, stelle die Musik auf Shuffle, und er spielt: “Lujon” von Henry Mancini. Das kann kein Zufall sein. Mancini macht Musik für diese Momente. Ich falle aufs Bett.

Keine zehn Minuten später sitze ich auf der Terrasse, und schon ist mir langweilig. Ich schiebe mir eine Traube in den Mund, es gibt in der Villa natürlich einen Obstkorb. Die Probleme des Alltags haben sich aufgelöst. Die elementaren Fragen auf dieser Insel lauten: Bett oder Terrasse? Yoga oder Jetski? Einatmen oder ausatmen? Essen gibt es nur zu bestimmten Zeiten, aber die Bar hat durchgehend geöffnet. Wenn man nur danach fragte: Sie würden die Gäste auch noch füttern. Was nun? Ich bin nicht müde, nicht wach, nicht getrieben, nicht still. Die Luft ist klar. Das Wasser ist ruhig. Hinlegen? Aufstehen? Rausgehen? Lesen? Mich bespaßen lassen? Aber bin ich nicht auf die Malediven gefahren, um zu entspannen, um mich nicht zahllosen Entscheidungen stellen zu müssen?

Hier ist immer Wochenende, zumindest, wenn die Sonne scheint. Wer will schon länger bleiben, in der paradiesischen Einöde? Die Zeit verliert sich schon jetzt im Nichts. Glücklicherweise gibt es auch Schnorchel-Equipment in der Villa. Der Indische Ozean liefert Entertainment quasi frei Haus. Und das Riff direkt vor der Villa bietet erstaunliche Einblicke: Je verschlungener es wird, umso bunter werden die Fische, die teilnahmslos vorbeiziehen. Manche lassen sich treiben, andere schnellen vorüber, und plötzlich erscheint zwischen all den Papagei-, Clown-, Lipp- und Nasendoktorfischen eine Schildkröte.

Die Unterwasserwelt scheint vielen Gästen auf meiner Insel nicht geheuer. So bleiben sie, weil die Malediven ein Reiseziel sind, dessen Zweck neben der Erholung hauptsächlich der Profilierung in sozialen Netzen dient, auf der Strandparzelle vor ihrer Villa liegen, räkeln sich am Strand und posten alles auf Instagram. Glücklicherweise steht auch ein Funkmast auf der Insel. Die Freunde werden dann kommentieren, wie schön sie es haben und wie neidisch sie sind auf dieses Paradies.

In dieser Umgebung erfordert es einige Denkleistung, sich der Tatsache zu entsinnen, dass es auf den Malediven auch Probleme gibt. Doch im weißen Sand oder am blauen Himmel zeugt nichts von der politischen Instabilität des Landes. Die Malediven können, denkt man, eigentlich gar kein richtiges Land sein. Es ist zu schön hier, als dass das irgendwie irdisch sein könnte. In den vergangenen 15 Jahren hat sich die Besucherzahl auf der Inselgruppe verdoppelt. Eine Million sind es pro Jahr, und in den kommenden Jahren soll sie noch einmal verfünffacht werden. Durch die langsame Öffnung wird das Land auch für Rucksacktouristen interessant – Malediver, deren Inseln außerhalb der Resorts für Touristen bislang tabu waren, dürfen neuerdings Bed-and-Breakfasts eröffnen. Verbindungen mit Billigfliegern schieben Menschenmassen in das Land. Es ist eine Gratwanderung; man versucht, sich zu öffnen und als Destination exklusiv zu bleiben. Das alles geht zu Lasten der Natur. Hier und da wird in den Umweltschutz investiert. Doch der Erfolg der Malediven ist im Wortsinne auf Sand gebaut. Am Abend liege ich auf dem warmen Boden, um den Sternhimmel zu betrachten. Auf den Malediven lässt sich die Milchstraße gut mit bloßem Auge erkennen. Ich genieße die Stille und bin ganz bei mir. Zwölf Stunden fühlen sich jetzt an wie zwei Wochen. In den anderen Strandvillen schauen sie fern. Die sind wohl schon länger hier.

Der Sonntag beginnt mit einem ausgiebigen Frühstück. Schon am Vorabend hatten sich die Vorboten eines Sonnenbrands bemerkbar gemacht, der mir jetzt mit voller Wucht eins auswischen will. Das gehört dazu, denke ich. Liegen fällt schwer. Unter Wasser ist alles besser, die gleichen Fische wie gestern, die Ruhe. Ein Stachelmakrelenschwarm zieht unbeeindruckt seine Runden. Hier hat es niemand eilig, hier ist niemand besonders wichtig.

Um 15 Uhr zeigt das Inselreich zum Abschied sein rauhes Gesicht. Statt klarem Himmel plötzlich Wolken. Selbst der Regen ist hier schön, ein Spektakel. Mit dem Speedboot geht es nach Dharavandhoo. Ein letzter Blick zurück auf das azurblaue Meer, auf die grün-weißen Eilande mit ihrer türkis farbenen Umrandung. Im Flugzeug läuft “Tear Drop” von Massive Attack. Das gibt dem Abflug etwas Melodramatisches. Als ich am Montag um 7.25 Uhr in Frankfurt erwache, sind wir kurz vor Erreichen der Parkposi tion. Um neun Uhr schlage ich im Büro auf. Nicht gerädert. Vielmehr erfrischt. Der Schlaf beim Flug war erholsam. War das jetzt ein schöner Traum? Die Gedanken finden sich nicht zurecht. Das Hemd ist zerknittert. Der Teint ist echt.

Erschienen in am 6. März 2014.



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