Eine Klasse für sich
Männliche Stil-Ikonen? Gibt’s nicht mehr. Oder doch? Neun Männer mit dem Look unserer Zeit.
Joachim Löw, 54: Spitzenreiter in Strenesse.
Vor der Insolvenz hat Bundestrainer Jogi Löw die Firma Strenesse zwar nicht bewahren können, doch den blauen Pullover der Marke kennt heute jeder. Dabei entscheidet nicht einmal Löw selbst, was er auf dem Feld trägt, sondern der Deutsche Fußball Bund (DFB). Der kündigte 2006 die Kooperation mit dem damaligen Mannschaftsausstatter Hugo Boss auf und entschied sich für Strenesse. Das saß. Wenn Löw zusammen mit dem bisherigen Co-Trainer Hansi Flick auftrat, demonstrierten sie modisch Geschlossenheit, egal ob sie Anzug, blaues oder weißes Hemd, blauen Pullover oder Kaschmirschal trugen. Jogi Löw, das wissen die Ausstatter, hat eine perfekte Figur für Hemden und verweist mittlerweile selbst David Beckham auf die hinteren Plätze. Das freute die Marke, bei Strenesse musste man nur “Jogi Löw Hemd” im Online-Shop eingeben. Der kuschelweiche Trainer hat den klassischen Look zwar nicht als Erster auf das Spielfeld gehoben, ihn dort aber etabliert. Mit der Insolvenz von Strenesse ging der DFB zurück zu Hugo Boss und gewann schließlich den Meistertitel in Brasilien.
Jared Leto, 42: Bergauf, bergab und wieder hinauf.
Von der deutschen “GQ” einen Preis für stilsicheres Auftreten zu bekommen und gleich darauf vom amerikanischen Pendant zum am schlechtesten angezogenen Mann der Welt gekürt zu werden, das muss man erst einmal schaffen. Jared Leto manövriert stets zwischen den Best- und Worst-Dressed-Listen dieser Welt und hat, selbst wenn er als Nebendarsteller nominiert ist, auf dem roten Teppich zumindest stets die Hauptrolle inne. Der mit einem Oscar bedachte Schauspieler und Sänger der Band “30 Seconds to Mars” erscheint seit 20 Jahren mit einer recht unbekümmerten wie unberechenbaren Experimentierfreude auf der Bildfläche, die sich mitunter in den wildesten Frisuren und fraglichem Make-up manifestiert. Zwischen Maßanzug und Netzshirt liegen bei Leto nur Wochen, nicht Jahre, und das trennt ihn rasch vom klassisch-cleanen Einerlei. Bei all der Einzigartigkeit bleibt eine kleine Bitte: Die Sonnenbrille auf dem roten Teppich genügt doch, wenn die Sonne scheint.
Gay Talese, 82: Es gibt keine unwichtigen Termine.
Dass der erste Eindruck zählt, wurde Gay Talese schon als Kind eingetrichtert. Und weil der Vater ein italienischer Schneider war, trug Talese schon als Kind dessen maßgeschneiderte Anzüge. Für seine spätere Karriere sollte sich das bezahlt machen. Als Begründer des New Journalism schrieb er legendäre Reportagen für die “New York Times” und das “Esquire”-Magazin. Journalisten müssen stilvoll gekleidet sein, sagt Talese, weil der erste Eindruck zählt. Man solle sich stets anziehen, als ginge es um ein wichtiges Geschäft. Jede Geschichte ist für Talese ein wichtiges Geschäft. Mit seinem Stil ist er schon heute eine Legende. Hundert Anzüge hängen im Schrank des Journalisten, einige zieht er seit Jahrzehnten an. Dreimal täglich wird die Garderobe gewechselt, zum Abendessen darf man nicht lotterig sein. Talese steckt einen nicht unbeträchtlichen Teil des Vermögens in maßgeschneiderte Anzüge. “Meine Sachen kommen nie aus der Mode”, sagt er, “weil sie nie in Mode waren.”
Justin O’Shea, 35: Der Vollbart in der Front Row.
Er kann eigentlich anziehen, was er will, schlecht wird er ohnehin nicht aussehen. Justin O’Shea, der als Chefeinkäufer des Luxus-Online-Shops mytheresa.com hauptberuflich Frauen einkleidet, bezeichnet seinen Stil als “eher langweilig”, weil er fast ausschließlich Dreiteiler von Acne zu Prada-Schuhen trägt. Manchmal sieht man den gebürtigen Australier in Hemden mit wilden Prints, meistens kurzärmelig, damit seine Tattoos zum Vorschein treten, und manchmal geht O’Shea auch im “Wifebeater” auf die Straße. Das gehört wie die Tattoos und der Vollbart zum kernigen Look, obwohl O’Shea mit dem Bart ursprünglich nur seinen Bruder überraschen wollte. Die maßgefertigte Sonnenbrille trägt er über den vom Jetlag geplagten Augen nur, wenn die Sonne scheint. O’Shea hat nicht nur auf der halben Welt gelebt, sondern sich auch schon als Verkäufer, Minenarbeiter und Perlenhändler verdingt. Heute ist er einer der am häufigsten fotografierten Männer vor den Schauen in Paris, Mailand und New York. Wo auch immer der Wahlmünchner auftaucht, weiß jeder Fotograf: Ein besser gekleideter Mann wird ihm an diesem Tag nicht mehr vor die Linse treten.
Daniel Craig, 46: 007 For All Mankind.
Als neuer “James Bond” hatte Daniel Craig keinen leichten Einstand. Die MI6-Agenten im Film gelten seit jeher als Vorbilder in Sachen Stil, auch sein Vorgänger Pierce Brosnan in Brioni. Und plötzlich kam da so ein Schlurfi um die Ecke, bei dessen Anblick viele Fans erst einmal aus den Latschen kippten. Die Häme verstummte, als Daniel Craig an seiner Rolle als Geheimagent wuchs und klassische Bond-Elemente in seinen Stil übernahm. Die Haare wurden kürzer, und plötzlich saßen die Anzüge, denn sie kamen von Tom Ford und waren zugeschnitten auf Craigs Statur. Wenn man so will, hat Tom Ford mit seinen modernen Entwürfen Craig erst zu dem Mann gemacht, der er heute ist. Nun steht da nicht mehr der Schauspieler auf dem Teppich, sondern (unterbrochen nur von einer kurzen Moustache-und-Schal-Phase) James Bond höchstselbst. Eine Assimilation, an der alle bisherigen Darsteller mehr oder minder schwer zu tragen haben. Aus seinem alten Leben hat Daniel Craig nur ein Paar Jeans mitgenommen. Das hat er dann sogar James Bond übergestreift. Zum ersten Mal überhaupt trägt der Agent in “Ein Quantum Trost” ein blaues Paar der kalifornischen Marke “7 For All Mankind”.
Mark Ronson, 38: Mit Schirm, Charme und Pantone.
Mark Ronson war der Produzent von Adele und Amy Winehouse, er hätte sich (ohne die Tolle) aber auch als fünfter Beatle gut gemacht oder zwischen Bob Dylan und David Bowie Platz gefunden. Ronson hängt der Musik und Mode der späten Sechziger nach, ist Fan der Serie “Mad Men” und trägt vorzugsweise Anzüge in allen Farben und Nichtfarben mit einer schmalen Krawatte samt Nadel. Erstaunlicherweise griff er bis zu seiner Hochzeit vor drei Jahren immer auf Konfektionsware zurück, wobei ihm egal war, ob sie von Topman oder Gucci kam, Hauptsache, schmal geschnitten. Mittlerweile löst sich Ronson vom Diktat der Sechziger, um seinem eigenen Stil zu folgen. Wenn er keinen Anzug trägt, bleibt er bei Polohemd mit Lederjacke oder Cardigan und einer Slimfit-Jeans: lässig, aber nicht fahrlässig. Musik und Mode liegen bei den Ronsons in der Familie; Ronsons Schwester Samantha ist eine gestandene Sängerin und lebt in Kalifornien, seine andere Schwester Charlotte arbeitet als Designerin in New York.
Charles Schumann, 72: Münchner Monolith.
Eine Bar ist wie ein Wohnzimmer, sagt Charles Schumann. Sie ist ein Ort, an dem man sich zu Hause fühlt. Für Schumann hat eine Jogginghose dort keinen Platz, er lebt in einem “Wohnanzug”, meint er und trägt manchmal wochenlang dasselbe: Anzug oder weißes Hemd mit Anzughose und Schnürschuhen, das Ganze am liebsten ohne Socken. Schumann verkörpert den Bonvivant, dessen von Furchen gegerbtes Gesicht Geschichten erzählt. Wäre er nicht so schweigsam, hätte er vieles zu erzählen; vor mehr als 30 Jahren eröffnete seine Bar in München. Er erfand den “Swimmingpool”. Er surft. Er schält leidenschaftlich gern Kartoffeln. Und auch seine Silhouette hält er seit sage und schreibe 1982: Die Sakkos sind noch immer eng, die Hosen weit. Allein das macht ihn zum Stilvorbild. “Ab einem bestimmten Alter sollte man besser nur noch Anzug tragen”, sagte der im Jahr 2003 verstorbene Fiat-Patriarch Giovanni Agnelli. Schumann machte es zu seinem Leitspruch, dabei wirkt er in den Anzügen scheinbar alterslos.
Benedict Cumberbatch, 38: Botschafter des britischen Stils.
Es fällt schwer, Benedict Cumberbatch nicht zu mögen, weil er so nett ist. Und zuvorkommend. Und politisch engagiert. Und weil er durch seinen Auftritt als “Sherlock” in der gleichnamigen BBC-Serie den Tweed-Mantel wieder in Mode gebracht hat. Der Zweireiher von Belstaff aus irischer Schafswolle, versehen mit einem Schutzfilm gegen Wasser, war von der Marke eigentlich schon aussortiert worden. Nach dem Erfolg der Serie hoben die Briten ihn wieder ins Programm. Seither ist er ausverkauft. Auch andere Stücke, die Cumberbatch in der Serie und mittlerweile gern privat trägt, bescheren ihren Herstellern neue Kundschaft, ein Schal von Paul Smith etwa, die Anzüge von Maßschneider Spencer Hart oder die schlanken Hemden von Dolce & Gabbana – einem der wenigen nicht britischen Ausstatter. Kostümbildnerin Sarah Arthur fand die meisten Stücke bei Harrods, wo sie “mit einem knappen Budget” haushalten musste. Mittlerweile gibt es zahllose Blogs, die sich allein der Frage widmen, wo man die Outfits von Benedict Cumberbatch günstig nachkaufen kann. So trägt der Erfolg der Serie den klassischen Stil des Englishman über das Internet in die Welt.
Pharrell Williams, 41: Alles können, nichts müssen.
Hoodies, Baggies und Oversize-Shirts, ein Patchwork-Pelzmantel, Leinen-Anzüge und Moon Boots von Nike. Wenn einer wie Musiker Pharrell Williams das trägt und sagt, Prinz William im Jagdgewand sehe super aus, dann lässt das viele zunächst ratlos zurück. Pharrell trägt seit Jahren das, was heute als effortless chic bekannt ist, wenn man scheinbar wahllos in den Kleiderschrank greift und dabei nonchalant schick aussieht. Er kleidet sich nach Wetter und Geistesverfassung in ikonografischer Streetwear oder, wenn es formell hergeht, in Lanvin von Kopf bis Fuß. Wenn er ein älteres Stück im Kleiderschrank findet, wie den Mountain Hat von Vivienne Westwood, dann trägt er ihn so lange, wie es ihm gefällt. So verhalf er dem besagten Stück zu einem Revival, als er ihn über Monate in verschiedenen Kombinationen über die Teppiche der Welt trug. Spätestens seit seinem Song “Happy” ist Pharrell in den Köpfen der Menschen als Ausnahmetalent bekannt. Dann hat er ausgerechnet noch geschafft, was vielen anderen Musikern nicht gelang: Er ist mit seinen Modemarken “Billionaire Boys Club” und “Ice Cream” seit zehn Jahren im Geschäft.
Erschienen in Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung am 31. August 2014.