Der Mann hinter dem Million Dollar Shoe
Dutzende Frauen tragen auf der Oscar-Verleihung seine Schuhe. Stuart Weitzman hat aus dem kleinen Geschäft seines Vaters eine Marke gemacht.
Herr Weitzman, Sie …
Ihre Schuhe sind cool. Von wem sind die?
Margiela.
Die sehen nicht nach einer klassischen Marke aus. Das gerissene Leder, die Vorderkappe – die sehen wirklich toll aus.
Vielen Dank. Wieso machen Sie eigentlich keine Herrenschuhe?
Ich frage Sie jetzt mal was: Was glauben Sie, wie viele Paar Schuhe ein Mann im Jahr kauft?
Im Durchschnitt vielleicht drei.
Anderthalb. Eine Frau hingegen kauft 13 Paar. Pro Jahr! Also: In welchen Markt würden Sie gehen?
Ich würde Männerschuhe machen, die so gut sind, dass Männer nicht nur anderthalb Paar davon kaufen wollen.
Ihre Denke gefällt mir.
Sie wollten ursprünglich kein Schuhdesigner werden, sondern an die Wall Street. Ihr Vater hatte aber eine Schuhfabrik.
Ich wollte der nächste Warren Buffett werden. Ich ging an die besten Wirtschaftshochschulen. Und ich hätte auch etwas Ordentliches erreicht, denke ich, weil ich das betriebswirtschaftliche Denken, das ich dort gelernt habe, auch heute nutze, und das sehr erfolgreich. Das Design war immer nur ein Hobby von mir. Und jetzt ist es auch mein Job.
Als Ihr Vater starb, waren Sie 24. Sie änderten Ihre Pläne und führten das väterliche Unternehmen mit Ihrem Bruder fort.
Meinem Bruder gehörte die Firma da schon. Einer musste die Aufgaben meines Vaters interimistisch übernehmen. Also gestaltete ich drei Schuhe. Zwei von denen verkauften sich bestens. Gegenüber von Bergdorf Goodman, wo heute Bulgari ist, war früher der Laden „I. Miller“, der bekannteste amerikanische Schuhladen. Und da war mein Schuh! Im Schaufenster! An einer der besten Adressen New Yorks!
Sie haben langen Atem bewiesen und wurden belohnt: Mittlerweile haben Sie aus dem Unternehmen eine Luxusfirma gemacht, die 350 Millionen Dollar im Jahr umsetzt.
Ich habe als eine Art Schuhingenieur angefangen. Schon mein Vater hat viel gezeichnet, und ich tat es ihm gleich. Das hat unseren Schuhen das gewisse Etwas gegeben. Die Frauen wissen, dass unsere Schuhe gut aussehen und sich gut anfühlen. Das ist noch wichtiger als das Design. Ich entwerfe für unseren Markt. Wenn nur Großmütter meine Schuhe tragen würden, würde ich eben die besten Großmütter-Schuhe machen. Aber es kam nun mal so, dass besonders die Prominenten darauf abfahren.
Sie haben sich einen Namen mit Schuhen in ungewohntem Material gemacht: Kork, Plexiglas, Bambus oder Styropor. Ihr Bestseller aber ist der „Nudist“. 50.000 mal verkauft, 400 bis 2000 Dollar teuer. Bei der letzten Oscar-Nacht trugen ihn gleich 16 Frauen.
Das geht schon seit Jahren so, ich kümmere mich selbst um die Aufträge der Stars. Am Anfang war mir das ein bisschen peinlich. Alle wollten den gleichen Schuh. Wir stellten also sicher, dass jeder eine andere Farbe hatte. Zum Glück tragen nicht alle das gleiche Kleid. Wenn ein Stylist diesen Schuh sieht, will er ihn haben. Das ist nicht so ein Kapitalverbrechen wie das gleiche Kleid zu tragen.
Ihr Erfolg in Hollywood kam über Nacht.
Glück kommt immer gelegen, aber manchmal muss man nachhelfen. Ich habe Schuhe gemacht für Promis, aber man sah sie nie im Fernsehen. Das Kleid verdeckte sie, oder der Moderator sprach über den Schmuck und die Haare und das Kleid. Also fragte ich mein Team: Was können wir tun, damit die Interviewer über die Schuhe reden müssen? Einer aus dem Team sagte: Warum machen wir nicht die teuersten Schuhe der Welt? Und ich sagte: A Million Dollar Shoe. Wir fanden einen Juwelier und machten 2002 diese Million-Dollar-High-Heels. Das Mädchen, das sie trug, Laura Elena Harring, spielte neben Naomi Watts in „Mulholland Drive“. Sie war noch sehr unbekannt. Ich wollte, dass den Schuh eine Prinzessin trägt, keine Königin. Dann lief Laura also mit ihrem Freund über den roten Teppich, und Joan Rivers sprach gerade mit Kate Winslet oder so, und sie rief: „Laura! Komm hier rüber! Jeder will Stuart Weitzmans ,Million Dollar Sandal’ sehen!“ Das war’s. Das war Glück. Sie war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Am Ende wurde sie häufiger fotografiert als Halle Berry, die den Oscar bekommen hat. Später haben übrigens viele Frauen in unseren Schuhen Preise gewonnen.
Und Sie haben sich gesagt: Ich hab’s geschafft.
Das habe ich nie gesagt. Wenn man diesen Punkt erreicht, heißt das, dass man nachlässiger wird. Und das will ich nicht. Natürlich kann es nicht immer weiter nach oben gehen. Die Million-Dollar-Schuhe wurden immer teurer. Mir blieb dann nichts übrig, als einen Schuh zu machen, von dem ich sagen konnte, er sei unbezahlbar. Und dann produzierten wir das Paar Schuhe mit einem Ohrring auf jeder Seite. Sie waren ein Geschenk von John F. Kennedy an Marilyn Monroe. Das war’s. Das war unbezahlbar. Und wir hatten die Presse auf unserer Seite.
Sie haben vor kurzem Alyssa Mishcon ins Boot geholt, die vorher für die LVMH-Marke Thomas Pink gearbeitet hat. Sie soll die Expansion vorantreiben.
Wir lassen keine Möglichkeit ungenutzt. Wenn etwas nicht im Budget ist, ist uns das egal. Wir können immer etwas vom Gewinn abzweigen. Wir rechnen mit fünf, zehn, fünfzehn neuen Läden pro Jahr, wenn der Markt mitspielt. Aber ich will nicht nur ein Retailer sein. Wir machen nur 25 Prozent unseres Geschäfts in eigenen Stores. Die meisten unserer Schuhe werden in wunderbaren Geschäften wie Breuninger, Printemps, Neiman Marcus verkauft. Ich brauche den Wettbewerb. Wenn ich nur Schuhe für meine Stores mache, wer sagt mir dann, ob ich gut bin oder schlecht?
Welche Märkte haben Sie im Blick?
Zunächst einmal Asien, Zentralamerika, Kanada und die Vereinigten Staaten. In Australien haben wir jetzt schon 13 Läden. In Europa dagegen ist noch viel Raum zum Expandieren. In Frankfurt eröffnen wir jetzt unseren neuen Laden, aber wir schauen uns auch in Wien, Stuttgart, Berlin, München und Düsseldorf um.
Aber der Schuhmarkt scheint gesättigt zu sein.
Frauen sind zwar loyal zu Marken, aber noch loyaler zu Looks. Ein schöner Laden mit guten Produkten hilft.
Kann man eigentlich Schuhe übers Internet verkaufen?
Und ob! Die Retourenquote ist zwar hoch, aber mit den Kosten kann man leben. Von dem Geschäft verspreche ich mir wirklich viel.
Bei Anzeigen schwören Sie auf teure Namen wie Kate Moss und jetzt Gisele Bündchen. Hat sich das bezahlt gemacht?
Wir würden es jederzeit wieder tun. Alles, was wir davor in Werbung gesteckt haben, war pure Geldverschwendung.
Warum sind die großen Schuhdesigner – Salvatore Ferragamo, Manolo Blahnik, Christian Louboutin, Giuseppe Zanotti – nur Männer mit europäischen Wurzeln?
Die Schuhkultur hat ihren Ursprung in Spanien und Italien. Es gibt das Handwerk noch, und das braucht man.
Sie gingen als Mittzwanziger nach Europa und suchten nach einer passenden Fabrik. Heute produzieren Sie in Spanien und leben dort teilweise.
Während der kreativen Phasen lebe ich in New York, den Rest des Jahres verbringe ich in Alicante, wo auch meine Fabriken sind. Meine Kinder stehen längst auf eigenen Beinen, und meine Frau ist noch mehr unterwegs als ich. Wenn wir uns treffen, dann nie in Alicante, denn was sollten wir da schon tun? Ich hänge ja in der Fabrik rum bis Mitternacht. Also treffen wir uns in London oder Rom.
Der angeschlagene Luxusgüterkonzern Coach hat Ihr Unternehmen für mehr als eine halbe Milliarde Dollar gekauft. Wollen Sie jetzt kürzertreten?
Niemand würde die Firma ohne mich kaufen wollen. Ich werde so weitermachen wie bisher. Das ist mein Hobby! Und von seinem Hobby tritt man nicht in den Ruhestand.
Erschienen in Frankfurter Allgemeine Magazin am 10. Mai 2015.