Calvin Klein in alter Größe

Calvin Klein war Steinunn Sigurðardóttir noch einen Gefallen schuldig. Sechs Jahre hatte sie für ihn als Chefdesignerin in New York gearbeitet. Als die Isländerin auf dem Weg in die Selbständigkeit zurück in ihre Heimat ging, nahmen sich beide das Versprechen ab, die Freundschaft nicht abreißen zu lassen. Bis zu seinem Besuch auf der Vulkaninsel vergingen aber 19 Jahre.

Kurz vor Weihnachten schrieb ihm Steinunn Sigurðardóttir eine Mail, ob er nicht kommen wolle, um über sein Leben zu reden. Einen Tag später sagte er zu. Dabei ist Klein dafür bekannt, dass er die Öffentlichkeit meidet. Es ist also einer seiner seltenen Auftritte. In Island ist alles ganz unaufgeregt, kein Tohuwabohu, kein Gedränge: ein Glücksfall.

Der Inselstaat arbeitet hart daran, sich einen Namen in Design und Mode zu machen. Man richtet ein Festival aus, zu dem der Google-Chef-Kreative Robert Wong kommt und Acne-Vorstand Mikael Schiller, den Klein besonders herzt, weil er heute dessen Jeans trägt. “Jeans und Unterwäsche von anderen Marken”, sagt er in typisch amerikanischer Designermanier, “hilft mir zu verstehen, was gerade in der Welt vorgeht.”

Seine Marke hat Calvin Klein schon vor zwölf Jahren verkauft, aber vom Image lebt er noch heute. Der Designer, den seine minimalistischen Schnitte zum Erfolg führten, der Unterwäsche und Jeans zum Lebensgefühl machte und zum Designerstück adelte, nimmt fast unbemerkt in der ersten Reihe des Konzerthauses Harpa Platz. Aufmerksam verfolgt er auf der großen Leinwand seine großen Würfe. Die kokettierende Brooke Shields (“Nichts lasse ich zwischen mich und meine Calvins kommen”), die nackte Kate Moss, den gestählten Mark Wahlberg. Als Klein auf die Bühne tritt, verliert er kein Wort zur Marke, der er mit einem Beratervertrag verbunden ist und die vor einem Umbruch steht, weil Geschäftsführer Tom Murry nach 17 Jahren im Juli für Steve Shiffman Platz macht.

Über seinen Konkurrenten Ralph Lauren, der wie er im New Yorker Stadtteil Bronx aufwuchs, redet er umso lieber. “Ralph Lauren – so hieß er damals natürlich noch nicht – war ein paar Jahre älter, wie mein Bruder vielleicht. Wir kannten uns nicht persönlich, aber er war in der ganzen Bronx für seinen Look bekannt. Er hat sich immer verkleidet. Er lief rum wie ein Südfranzose, immer diese Kostüme, immer diese Phantasiewelt.” Er dagegen habe sich an der James-Dean-Ära orientiert. “Ralph Lauren wurde vom britischen Design beeinflusst. Ich wollte immer ,on the edge’ sein.”

Calvin Klein, der ebenfalls als Sohn jüdischer Migranten aufwuchs und Details zu seiner sexuellen Orientierung wie zum Betäubungsmittelkonsum in den Medien marketingwirksam zu dosieren wusste, scheint sein Lebenswerk nach der Ära Calvin Klein beflissen zu ordnen: “Meine Freundin Anna Wintour sagt, ich solle ein Buch machen.” Er verbringe viel Zeit im Archiv, mit Polaroids und alten Kampagnen. Auch die beiden Designer, die heute die Marke Calvin Klein prägen, kommen auf der Suche nach Anleihen an die Erfolgszeiten dort oft vorbei.

Der Zeit im Studio 54 mit Andy Warhol – “der werde ich wohl nie entfliehen können”, sagt er – und mit seiner Assistentin und späteren Ehefrau Kelly Rector sei er noch heute, nicht zuletzt durch die gemeinsame Arbeit, verbunden. Er mag das Wort “unisex” für seine Arbeit nicht, sagt er. Und die Kunden wüssten nicht, was sie denn wollten: “Man muss den Leuten zeigen, wohin sie gehen sollen.”

Er scheint froh zu sein, nicht mehr am Geschäft teilzuhaben. “In den Vereinigten Staaten erleben wir eine Tendenz, dass die Leute glauben, für Gewerkschaften zu arbeiten und nicht für Unternehmen.” Da hilft er lieber Jugendlichen in Harlem. “Und ich bereise fremde Länder. Früher habe ich nur Fabriken gesehen.”

In seinem Selbstverständnis hat er sein Lebenswerk in geradezu calvinistischer Strenge und mit wenig Hilfe selbst aufgebaut. “Modenschauen werden überbewertet. Es gibt zu viele, die es einfach nicht geben sollte. Nicht jede Kollektion ist gut genug, um gezeigt zu werden. Die Mühe, der Aufwand, sollte lieber in die Arbeit gesteckt werden.” Die meisten Designer könnten ihre Arbeit aber nicht auf das Wesentliche reduzieren. “Die Kunst ist, alles Unwichtige rauszulassen. Und nur das zu zeigen, das neu ist.”

“Ich habe oft an mir gezweifelt”, sagt Klein zum Abschied. “Der Öffentlichkeit habe ich das nie gezeigt.” Durch eine Hintertür verlässt er das Podium. Am Freitagmorgen erkundet er die unbändigen Seiten der Insel, ihre Vulkane und Gletscher und Wasserfälle. Aus sicherer Entfernung, vom Hubschrauber aus.

Ralph Lauren hat sich immer verkleidet, sagt Klein, „er lief rum wie ein Südfranzose.“

Erschienen in Frankfurter Allgemeine Zeitung am 31. März 2014.



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