Herr Ma hatte einen Traum. Als er 2002 die Stadt Fuzhou in der Provinz Jiangxi besuchte, erzählte ihm jemand, dass die Regierung einen Staudamm errichten und sein altes Heimatdorf fluten wolle. Herr Ma wusste, dass gegen Entscheidungen im Sinne des Volkswohls kein Kraut gewachsen war, doch als er sah, dass im Wald, in dem er als Kind gespielt hatte, schon die ersten Bäume gerodet waren, reifte in ihm ein tollkühner Plan: Er würde ihn samt der Häuser, durch deren Gassen er früher gestreift war, einfach umsiedeln. Er würde eine neue Heimat finden für das Dorf seiner Kindheit. Er war erst 28, aber er hatte schon ganz andere Träume in seinem Leben verwirklicht. Herr Ma war Milliardär.
Er fand ein geeignetes Grundstück, eine Stunde vor Shanghai. Herr Ma hatte mit Immobilien in der Stadt viel Geld gemacht, aber dieses Vorhaben war selbst für ihn eine Nummer zu groß. Er engagierte 200 Botaniker, Ingenieure, Architekten und Kunsthandwerker, die besten des Landes. Er ließ Straßen bauen und Brücken errichten, ließ Häuser in Balken, Schindel und Ziegel zerlegen. Jeder Stein wurde nummeriert, 100 000 pro Haus, und in einer Lagerhalle aufbewahrt. Jeden einzelnen der 10 000 als heilig angesehenen Kampferbäume kaufte er dem Staat ab und transportierte sie die 700 Kilometer lange Strecke, um sie dort in derselben Ausrichtung wieder einzusetzen. Nun hatte er einen stattlichen Wald und 50 Häuser in ihren Einzelteilen. Er wusste nur noch nicht, was er damit machen sollte.
Als Adrian Zecha, Gründer der Hotelgruppe Aman, von Herrn Mas Dilemma hörte, arrangierte er 2009 ein Treffen. Rasch ließ sich Ma davon überzeugen, die Geschichte lebendig werden zu lassen – und das kleine Dorf in ein Resort zu verwandeln. Zecha engagierte das australische Architekturbüro Kerry Hill, das schon mehrere Schätze für Aman gehoben hat. Das „Amanyangyun“ stellte jedoch auch den leitenden Architekten Tim Bradley vor eine Herausforderung: „Für gewöhnlich kann man sich an der Topografie eines Ortes orientieren, aber hier war nichts, nur Leere.“ Er besuchte alte Dörfer in Jiangxi und nahm sich die formellen Strukturen der Verbotenen Stadt zum Vorbild. „Die Prinzipien sind ähnlich, es ist nur eine Frage des Maßstabs.“
Eingebettet in eine zehn Hektar große Parklandschaft des britischen Landschaftsarchitekten Dan Pearson entstand eine kleine Welt, die eine kontemplative Antithese zur Megacity Shanghai bildet. Die Anlage, auf deren langen Kanälen schwarze Schwäne schwimmen, gruppiert sich um einen 1000 Jahre alten Kampferbaum, unter dessen 17 Meter hohen Krone das Nan Shu Fang thront – ein Schulhaus, das dem kaiserlichen Lesepavillon der Verbotenen Stadt nachempfunden ist. Das aufsehenerregende Gebäude ist zugleich intellektuelles Herz des „Amanyangyun“, in dem Chinas Erbe von der Teezeremonie über Kalligrafie hin zu chinesischer Philosophie und Malerei lebendig bleibt. Sein Interieur ist aus Nanmu-Holz gestaltet, das früher Kaisern vorbehalten war.
Um den Pavillon erstreckt sich ein Ensemble aus 26 Villen. Kerry Hill hat die alten Gemäuer mit modernstem Komfort ausgestattet. „Wir mussten vieles ausprobieren“, sagt Bradley. „Zwei Häuser bauten wir schon in der Lagerhalle vollständig auf, um unsere Entwicklungen zu testen.“ Denn als Hotelzimmer waren die Villen schlicht nicht geeignet, sie waren dunkel und feucht, hatten keine Badezimmer. Da für Herrn Ma der Komfort an erster Stelle stand, mussten die Ingenieure und Architekten alle Häuser verändern, ohne die Schlichtheit ihrer äußeren Erscheinung zu beeinträchtigen. Feine Perforierungen in der Außenwand bringen nun Licht in halb offene Räume, ohne dass der monolithische Charakter der Villen verloren geht. Die Häuser sind isoliert und entsprechen modernsten Bauvorschriften – sogar erdbebensicher sind sie jetzt.
13 der Häuser wurden zu „Antique Villas“ von 800 bis 1000 Quadratmetern Größe umgewandelt, in denen sich jeweils vier Suiten befinden, die sich um einen traditionellen Innenhof versammeln. Ergänzt werden sie von 24 „Ming Courtyard“-Suiten, puren Betonbauten, die den Villen nicht die Show stehlen. Viele der bis zu 400 Jahre alten Gebäude wurden von Händlern und Gelehrten bewohnt, deren Status sich in Größe und Gestaltung ihrer Häuser niederschlug. Ihre Geschichten sind in Form alter Reliefs, Ornamente und Inschriften in den Eingangsportalen festgehalten.
Das „Amanyangyun“ ist bewusst kein Museumsdorf geworden, man soll sehen, wo heutige Eingriffe vorgenommen wurden. Das minimalistische Interieur aus Granit, Glas, Holz und Bambus ist in ruhigen Tönen gehalten, die Kampferpaneele werden von chinesischer Kiefer, Ulme und Möbeln aus Eiche komplementiert. Kerry Hill entwarf jedes einzelne Element, damit sich Tradition und Moderne zu einem sinnlichen Raum verbinden. „Die Objekte in den Räumen sollen nur temporäre Bewohner sein“, erklärt Bradley. „Die Möbel, das Licht – nichts ist fix, alles beweglich.“
So sind die Villen nun Mittler zwischen Vergangenheit und Zukunft; ihre lange Geschichte wird nicht jedes Geheimnis preisgeben. Um es mit Herrn Ma zu sagen: „Es war, wie einen Brunnen zu graben. Man weiß nicht, wie tief das Wasser ist – aber man weiß, dass es da ist.“