Sergio Colantuonis Apartment ist ein Kaleidoskop aus Farben und Formen

Ein Apartment so wunder- und sonderbar wie das Leben seines Besitzers: In Sergio Colantuonis Mailänder Mikrokosmos kommt die Welt zusammen.
Sergio Colantuonis Esszimmer Esszimmer Silva Tessuti
Kreativer Geist: Den Porzellantisch in seinem Esszimmer hat Sergio Colantuoni gemeinsam mit dem Künstler Roberto Cambi geschaffen, die Vintage-Tapete an der Wand stammt von Manuel Canovas für Silva Tessuti, die Applike von Servomuto. Einziger Designklassiker ist die Vase von Alvar Aalto.Ruy Teixeira / Living Inside

Die wohl einzige Wohnung Mailands mit Blick auf den Vesuv liegt unweit des Piazzale Lodi. Gleich sieben neapolitanische Gemälde im Eingangsbereich von Sergio Colantuonis Apartment huldigen dem Vulkan aus allen Perspektiven, zwischen ihnen stürzt sich ein Schwarm bemalter Porzellanschwalben auf gestreiften Wänden in die Tiefe. „Als ich aus Neapel herzog, war ich traurig, weil ich das Meer nicht sehen konnte, aber wenn die Sonne scheint, hält man es auch hier in Mailand gut aus“, lacht der Hausherr. „Im Nebel ist es noch besser: Da fühlt sich das Wohnzimmer fast wie ein Flugzeug an.“ Wenn er aus seiner Wohnung auf die Stadt hinunterschaut, auf die alten Fabriken ringsherum, die heute zu Lofts und Ateliers, Architekturbüros und Tanzschulen umgebaut werden, sinniert er: „Das ist er, der Blick auf das Herz Mailands.“

Die neapolitanischen Gemälde im Eingangsbereich zeigen alle den Vesuv. In der Vitrine von Fontana Arte stehen Souvenirs und darauf Kirchkerzenständer; die Streifen an den Wänden wurden von Marisa Badalamenti gemalt, auf ihr schweben keramische Rauchschwalben von Bordallo Pinheiro.

Ruy Teixeira / Living Inside

Sergio Colantuonis

Mit 24 folgte Sergio Colantuoni dem Ruf der Stadt, um Modedesign an der Domus Academy zu studieren. „Gianfranco Ferré war mein Tutor. Er sagte: ‚Du bist zu ungeduldig für diesen Job.‘ Also ging ich zur ,Uomo Vogue‘.“ Vom Assistenten stieg er rasch zum Ressortleiter auf, schrieb über Mode, Design und das gute Leben. Noch heute arbeitet er als Autor für Zeitungen und Magazine (seit 22 Jahren betreut er die Foodseiten im Magazin des „Cor­riere“), berät Mode- und Designmarken, gestaltet Kampagnen und Läden, nebenbei ist er Kreativdirektor der Herren­modemesse Pitti Immagine in Florenz. „Ich lege mich nicht fest – vor allem weil ich selbst gar nicht weiß, was ich eigentlich mache. Es ist von allem ein bisschen und irgendwie auch nichts, im Prinzip arbeite ich nie, ich lebe einfach.“

Schnellen Schrittes führt er durch sein Apartment, vorbei an Italo-Schallplatten und Skulpturen von César Manrique, an Minions und Mangafiguren und Capodimonte-Porzellan; an Gemälden, Schnitzereien, Stofftieren, am Schrein mit Ganesha und Jesus und Santa Patrizia, der Schutzheiligen Neapels – Referenzen an seine Heimat finden sich hier allerorten. „Ich bin nicht zu bremsen. Meine erste Wohnung habe ich alle zwei Wochen umgestaltet. Neue Farben, neue Stoffe, neue Raumaufteilung – als ich mit 40 endlich dieses Apartment kaufte, war ich so müde, dass ich schlicht einen Ort wollte, an dem zumindest Sofa, Tische und Küche an festen Plätzen sind. Hier ändert sich nichts, außer auf den Regalen.“

Hausherr des intergalaktischen Gästeschlafzimmers list die Mangafigur Astro Boy, die auf einem Leuchttisch von Rebecca Agnes steht. Aus einem Jackenstoff-Entwurf für Caruso entstand die Galaxie-Tapete. Rechtsein Fiorucci-Leuchtenfuß mit einem Schirm von Servomuto.

Ruy Teixeira / Living Inside

Sergio Colantuonis

Seine Wohnung ist ein Kaleidoskop aus Farben und Formen, ein Mikrokosmos eigener Güte. Zu jedem Objekt weiß Sergio Colantuoni eine Anekdote, berichtet von Erlebnissen mit Freunden, Reisen ins Ausland, bewegenden Momenten. „Jeder Raum erzählt eine Geschichte. In welche Richtung man sich auch dreht, es ergibt sich immer ein neues Bild.“ Aus einer Laune heraus begann er vor Jahren, verschiedene Objekte zu neuen Gebilden zu komponieren. Das fiel seiner Freundin, der Galeristin Patrizia Tenti, auf. „Das ist Kunst!“, rief sie bei einem ihrer Besuche euphorisch, als sie eine Vase von Michele De Lucchi entdeckte, die Sergio Colantuoni umgedreht hatte und zur neuen Herberge von Astro Boy umfunktionierte, der ikonografischen Mangafigur von Osamu Tezuka aus den fünfziger und sechziger Jahren. „Darf ich das auf der Art Basel zeigen?“ Seine Objekte verkauft Colantuoni seither in alle Welt.

Das Apartment, in dem sich die wildesten Muster und Stile mischen (allein der Boden changiert zwischen Marmor, Parkett und persischen Läufern) und in dem der Hausherr seit 19 Jahren lebt (seit 15 mit Partner Giuseppe Triggiano), hat er vor Kurzem um die Nachbarwohnung erweitert, um mehr Platz für sich und sein Leben zu schaffen. Die Provenienz der wenigen Möbel, die es hier gibt, ist ebenso abenteuerlich wie die der zahlreichen Gegenstände. „Ich bevorzuge Objekte, die man nicht unmittelbar erkennt“, sagt Colantuoni. Bei der Deckenleuchte im Esszimmer hat er ein Auge zugedrückt: Die „PH Artichoke“ von Louis Poulsen hatte sich Giuseppe gewünscht, der direkt einwirft: „Wir haben sie vor Jahren schon in Stockholm gekauft, bevor sie überall hing.“

In der Wäschekammer hängen Teller aus aller Welt – natürlich sind auch Stücke von Fornasetti darunter. Die Wand aus italienischem Walnussholz, hinter der sich Giuseppes Studio verbirgt, hat Sergio Colantuoni analog zu den Küchenmöbeln gestaltet, den roten Marmor aus Verona wählte er selbst.

Ruy Teixeira / Living Inside

Sergio Colantuonis

Den Tisch im Esszimmer hat Sergio Colantuoni mit der Hilfe des Keramikkünstlers Roberto Cambi umgesetzt. „Ich habe die Fliesen selbst mit Symbolen, Buchstaben und Zahlen graviert. Er ist nicht perfekt, aber gerade das macht seinen Reiz aus.“ Nebenan, in der violett gestrichenen Küche, hängen die „Calendario“-Wandteller von Fornasetti – für jedes Jahr, das Sergio und Giuseppe zusammen sind. Er liebe es zu kochen, sagt der Hausherr, obwohl er es nicht wirklich könne. „Mir war wichtig, dass die Küche nicht wie eine Küche aussieht. Man soll sich hier gern aufhalten. Neulich fragte eine Freundin: ‚Sergio, wo ist eigentlich deine Küche?‘, da erwiderte ich: ‚Schau mal, du stehst drin, und ich koche gerade!‘“

Von der Küche führt ein Gang zum Büro von Giuseppe, an das zwei Räume anschließen: ein interplanetares Gästezimmer, an dessen Wand Sergio Colantuoni das Bild einer Galaxie gedruckt hat. Ursprünglich hatte er es als Print für eine Jacke entworfen. Und – verborgen hinter einer unscheinbaren Tür des Kleiderschranks – das Schlafzimmer der beiden. Ein Raum, der so gar nicht zum Rest des Apartments passen will: grau melierter Teppichboden, Spiegelschrank, Drachenbaum. Geschlafen wird auf dem Boden. „Sehr Siebziger. Wie Barbarella. Man zieht die Schuhe aus, kommt hinein und ist in einer völlig anderen Welt. Wenn ich ins Schlafzimmer gehe, trete ich auch in mein anderes Ich.“

Hält der Hausherr also gar nicht an den Dingen fest? „Alles hier ist unstet, ist im Fluss. Deshalb habe ich kein Problem loszulassen. Wenn meinen Freunden hier was gefällt, können sie es einfach mitnehmen.“ Sergio Colantuoni sucht ohnehin nach einem Alterssitz im Süden, zumindest zeitweilig: „Ich sehne mich nach einem Nest in Neapel.“ Wenn er in die Stadt seiner Kindheit zurückkehrt, braucht er nichts als das Licht der mediterranen Sonne und die salzige Meeresluft. „Mein Haus in Neapel wird weiß und still.“

Kreativer Geist: Den Porzellantisch in seinem Esszimmer hat Sergio Colantuoni gemeinsam mit dem Künstler Roberto Cambi geschaffen, die Vintage-Tapete an der Wand stammt von Manuel Canovas für Silva Tessuti, die Applike von Servomuto. Einziger Designklassiker ist die Vase von Alvar Aalto.

Ruy Teixeira / Living Inside

Im asketischen Schlafzimmer erinnert nichts an die wilde Gestaltung vor der Tür.

Ruy Teixeira / Living Inside