„Das Glück fängt an, wenn ich aufwache“

Wer Oda Jaune zum ersten Mal trifft, mag gar nicht glauben, dass diese hauchzarte, hübsche Frau mit ihren Mandelaugen bevorzugt deformierte Leiber und umgestülpte Organe malt. Mit 17 kam Jaune (damals noch Michaela Danowska) zusammen mit ihrer älteren Schwester und ihren Eltern von Bulgarien nach Deutschland. Die Schwester geht zu A.R. Penck, sie selbst zu Immendorff. Die beiden verlieben sich, heiraten und bekommen ein Kind: Ida. Weil Michaela nicht wie ihre malende Schwester und ihr malender Mann heißen will, bittet sie Immendorff, ihr einen neuen Namen zu geben. „Ich finde, einen Namen muss man bekommen“, sagt sie. Er gibt ihr den Namen Oda Jaune, und dazu einen Pass der Republik Gyntiana, dem Märchenland von Henrik Ibsen, in dem es weder Zeit noch Grenzen gibt. Oda ist altdeutsch für „Schatz“ und Jaune ist das französische Wort für Immendorffs Lieblingsfarbe Gelb. Oda liebt ihren Namen. „Das schönste Geschenk, das er mir gemacht hat.“ 2007 stirbt Immendorff. Sie flieht vor der zudringlichen deutschen Boulevardpresse nach paris und beginnt dort mit der kleinen Ida ihr drittes Leben. Wir haben die ganz besondere Malerin in ihrer Wohnung im 7. Arondissement besucht

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Fotos: Eva Baales

Oda, erzähle uns, wie du wohnst.

Ich wohne im 7. Arrondissement, da, wo auch der Eiffelturm steht. Seit ich mit meiner Tochter vor neun Jahren nach Paris kam, sind wir dreimal umgezogen. Immer dahin, wo sie gerade zur Schule geht. Da, wo wir jetzt wohnen, ist es sehr ruhig. Es gibt eigentlich nichts hier, es bewegt sich nichts, und es verändert sich nichts. Alles ist steril und leer. Aber schön.

Wie sieht deine Wohnung aus?

Meine Wohnung ist 120 Quadratmeter groß. Es gibt eine Küche, zwei Zimmer, zwei Bäder und einen Zwischenraum, den ich für meine Arbeit an Skulpturen nutze. Als ich nach Paris gezogen bin, habe ich nichts mitgenommen außer zwei Koffern; die Wohnung war ohnehin so klein, dass nichts hineinpasste. Die Möbel habe ich bei Ebay und auf dem Flohmarkt gekauft. Stücke aus meiner früheren Zeit in Düsseldorf, nach denen ich Sehnsucht hatte, habe ich später nachgeholt. Meine aktuelle Wohnung ist eine Mischung aus neuen Stücken und denen, die ich vermisst habe.

Wo hältst du dich am liebsten auf?

Ich habe zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Räumen meinen Rückzugsort. Das Haus ist oft sehr voll, weil Freunde alles Mögliche bei uns unterstellen. Und weil wir viel Besuch bekommen – da wird schon mal der Flur zum Schlafzimmer. Es ist eine Wohnung, die die unmöglichsten Transformationen erlebt hat. Es gibt das Wohnzimmer, wo meine Eltern oft zu Besuch sind. Im Winter wohnen sie fast schon bei uns. Wenn ich da die Tür aufmache, fängt meine Kindheit wieder an. Ich werde behandelt wie ein Kind und muss mich auch so verhalten wie ein Kind. Wenn sie da sind, habe ich diesen Raum sehr lieb. Dann gibt es das Badezimmer, in dem einige meiner Lieblingskunstwerke hängen. Es gibt kaum einen ehrenvolleren Ort als das Zimmer, in dem du dich rein machst von allem. Und die Küche. Sie sieht nicht aus wie eine Küche, sie hat einen Kamin. Der, der das umgebaut hat, hat alles sehr komisch verteilt. Aber das mag ich an meiner Küche: dass sie kein echter, sondern ein erfundener Ort ist. Das größte Zimmer hat meine Tochter, ich habe ein kleines. In meinem Schlafzimmer schließe ich einfach die Augen, für mich ist der Raum nicht so wertvoll wie für sie, die gerade heranwächst. Ob es eng ist oder weit, spielt für mich keine Rolle. Mein Raum ist im Kopf.

Malst du zuhause auch?

Nein, nur im Atelier, jetzt wieder. Letztes Jahr habe ich kein einziges Bild gemalt. In einem Zwischenraum in meiner Wohnung habe ich Skulpturen gemacht. Das war ein Luxus, ein Geschenk an mich selbst, weil ich das vor vielen Jahren mal gemacht habe und dann durch die Malerei total vernachlässigt habe. Jetzt konnte ich es mir leisten, mich so frei zu machen und nur das Dreidimensionale zu haben, ohne die Farben. Wo nur Licht und der Schatten eine Rolle spielen. Das war eine wunderschöne Reise. Ich wollte auch eine Pause von den toxischen Farben machen und dachte, die Porzellanmasse würde viel sauberer. Schon in der ersten Woche fing weißer Staub an zu fallen, es gab Lichtschnee in jedem Raum. Meine Familie hat da einiges mitgemacht. Ich habe dann für jede Skulptur eine Holzbox bestellt, die stapeln sich jetzt in jedem Raum, nur in der Toilette nicht. Jetzt freue ich mich aber auch, zur Malerei zurückzukehren, mit allem, was die mir gibt. Skulpturen zeigen einem doch auch Grenzen auf.

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Du zeigst in deinen Bildern viel Fleisch, obszöne, zuweilen fast abscheuliche Szenen. Wo kommt das her?

Fleisch und Blut sind ein Teil von uns. Wir vergessen, dass wir daraus gemacht sind, weil wir eine Haut haben. Wir haben wahnsinnige Angst davor, was wir eigentlich sind. Das finde ich sehr interessant. Das Bewusste, das Erklärbare, interessiert mich nicht so sehr, sondern das Unerklärbare, das, was uns so großartig macht.

In Deutschland sagen sie: Du malst Albträume, du verarbeitest irgendetwas. In Frankreich vergleichen sie deine Kunst mit Magritte und Max Ernst.

Das ist auch eine Generationenfrage. Die jungen Menschen, also die, die jünger sind als ich, sehen das nicht so. Die gehen da anders heran. Es spielt ja auch unrelevant, woran ich gedacht habe beim Malen, sondern was der Betrachter fühlt. In Deutschland spielt sicherlich auch die Geschichte eine Rolle, dort gibt es viel Schmerz, in Frankreich sind die Menschen freier. Es ist überhaupt interessant, wie groß die Resonanz hier in Frankreich ist. Ich hatte ja nichts geplant, ich habe einfach gedacht, ich werde einen Ort finden, um mit meiner Tochter ein Leben und eine Ruhe zu haben. Erstmal die Sprache zu lernen. Dass ich schon zwei Monate nach meiner Ankunft die erste Ausstellung bei Daniel Templon zeigen konnte, war ein großes Glück.

War es eine Flucht vor dem Düsseldorfer Klüngel?

Ich hatte im Grunde keine andere Wahl. Ein Leben in Düsseldorf wäre unmöglich gewesen. Alles brach zusammen in Düsseldorf, ich habe meinen Mann verloren, im gleichen Jahr wurde meine Mutter sehr krank. In Düsseldorf hätte ich keine Freiheit gehabt, wäre immer die Beobachtete geblieben. Ich bin ein Jahr lang geblieben und wusste, wenn ich bleibe, werde ich durch den Schmerz verschwinden. Und ich dachte, ich verschwinde lieber in eine gute Richtung.

Warum gerade Paris?

Ich wäre gern nach New York gezogen, aber meine rationale Seite hat sich für Europa entschieden. Ich will mich weiter um meine Eltern kümmern. Ich habe mich aus einer Idee heraus für Paris entschieden. Ich wusste, dass es eine Stadt ist, in der ich kein Auto brauche und nicht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen bin. Ich gehe sehr gern spazieren. Und ich wollte meine Ruhe haben, und habe bewusst einen Ort ausgewählt, wo ich die Sprache nicht spreche, wo mich niemand kennt, wo ich niemanden kenne. Paris hat mir die Freiheit gegeben, dass nichts aus meinem alten Leben zählte. Das war mein New York: If I can make it there, I’ll make it anywhere.

Hat der Terror die Stadt verändert?

Der 13. November ist mein Geburtstag, und ich war im Atelier mit meinen liebsten Menschen. Vieles war ungewiss in dieser Nacht. Was, wenn Paris nie wieder die gleiche Stadt ist, und wenn sie einfach untergeht vor Schmerz, dieser Gewalt, dieser Vergewaltigung? Da wusste ich: Ich gehe von hier nicht einfach weg. Ich werde die Stadt nicht verlassen, wenn es ihr so schlecht geht. Es muss schon einen anderen Grund geben. Wie die Pariser weitergemacht haben, immer den Kopf hoch, das fand ich sehr gut. Für mich war es wichtig, in dieser Zeit für die Stadt da zu sein. Eine Liebe braucht auch das Gefühl, dass man etwas verlieren kann. Es nicht als gegeben hinzunehmen. Der Terror hat meiner Liebe zu Paris eine neue Seite gegeben.

In Deutschland wurdest du zuletzt nur noch „Immendorffs Witwe“ genannt. War es schwer für dich, aus dem Schatten dieses Namens zu treten?

Ich habe mich überhaupt nicht mehr damit auseinandergesetzt, denn ich fand es nicht akzeptabel, so bezeichnet zu werden. Vor allem: Man nennt immer nur die Frauen „Witwen“. Wann hört man mal von einem Witwer?

Du warst seine Meisterschülerin. Was hast du gelernt?

Als wir uns trafen, und das begreife ich erst jetzt so richtig, war ich ganz am Anfang und er stand schon am Ende seines Lebens. Wir sprachen nicht viel, wir kommunizierten über Unausgesprochenes, es floss einfach. Wir haben durch die Malerei gelebt, geliebt, gesprochen. Er hat mir gezeigt, was es bedeutet, nicht aufzugeben, selbst wenn dir die Natur alles nimmt.

Er sagte: Malen ist Menschwerdung.

Das sehe ich anders. Mich befreit die Malerei vom Menschendasein. Das Menschsein ist zu sehr gebunden an Sachen, für die man sich eher schämt. Man schämt sich für das Menschliche. Ich liebe das Menschliche, doch durch das Malen löse ich mich davon.

Glaubst du, dass von Künstlerinnen ein bestimmter Look erwartet wird?

Oh ja. Man soll am liebsten Schwarz angezogen sein. Eine Frau muss sich männlich anziehen.

Düsseldorf ist ja, zumindest wirtschaftlich, die deutsche Modestadt. Wie unterscheidet sich der Stil der Frauen in beiden Städten?

Jetzt muss ich mich diplomatisch ausdrücken. Vielleicht rede ich einfach nicht über Düsseldorf. Oder sagen wir: In Düsseldorf tragen sie oft Kleider, die schreien danach, wie viel sie gekostet haben. Das würde man in Paris als vulgär bezeichnen. Das Materielle ist es nicht, was die Eleganz einer französischen Frau ausmacht. Keine Frau ist so anziehend wie die Pariserin. Selbst das Altern tut ihr gut. Weißt du, ich habe mich in die Pariser Frau verliebt. Ich mag das Verborgene an ihr. Manchmal sieht es aus, als ob die Kleider die Geschichte des letzten Tages und der Nacht noch in sich tragen. Das mag ich sehr gern. Es steckt viel Poesie im Unperfekten, mir gefällt das Gebrochene, zu Gelebte, Gerauchte, Getrunkene.

Du rauchst nicht und du trinkst nicht. Kann man in Paris so überleben?

Ach, ich habe ich andere Laster, seit ich hier bin: Ich esse sehr viel Fleisch. Es ist auch sehr schwierig, sich vegetarisch zu ernähren, wenn man nicht nur Beilagen essen möchte. Es ist sehr inhuman und nicht sehr gut, aber man kann ja nicht perfekt sein.

Würdest du sagen, dein Stil hat sich verändert, seit du in Paris bist?

Ich trage gern Second-Hand-Sachen, kaufe aber meistens nur auf Reisen ein. Ich mag Trachten und Kleider, die tatsächlich aus dem Ort kommen, wo ich sie kaufe. Ich liebe es, Stücke zu finden, bei denen ich das Gefühl habe, die werden jetzt mit mir sein, die werden mit mir wohnen. Basics liegen bei mir gefaltet im Schrank, aber alle anderen Stücke sind sichtbar. Manche sind in Größe XXL, die werde ich nie tragen können. Aber ich besitze sie, weil sie wie Skulpturen aussehen. Stoffskulpturen. Am meisten mag ich eine die Jacke aus Strick und Schlangenleder, die meine Mutter früher getragen hat in einer Zeit, als es in Bulgarien nur Uniformen gab.

Was trägst du am liebsten?

Ein schwarzes, langes Samtkleid, das keinen Rücken hat und keinen Namen. Aber im Atelier laufe ich nur in Arbeitskleidung rum. Beschmutzte Jeans, warme Pullover und Turnschuhe.

Kannst du dir vorstellen, in Paris alt zu werden?

Ich bin schon mittelalt geworden hier in Paris. Ich würde gerne 200, am liebsten 300 Jahre leben. Und immer in anderen Städten. Ich liebe Neuanfängen. Ich trage alles mit mir. Ich nehme es von einem Ort und wachse in einen anderen. Aber die Liebe zu Paris ist zu stark, ich weiß nicht, wie ich sie verlassen soll.

Was ist für dich das größte Glück?

Ich bin glücklich. Ich glaube, dass ich so geboren wurde. Dass mir das Kraft gegeben hat. Das Glück fängt an, wenn ich aufwache und das Licht sehe. Das ist ein wahnsinniges Glück, es fließt sofort in das Blut, es ist nicht zu beherrschen. Sogar in der Nacht. Es ist nie ganz dunkel. Das Licht findet immer seinen Weg.

Erschienen in Achtung Mode am 4. September 2017.



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