Im Palast der Sonnenkönigin Jenne Maag

Einst zählte Mérida zu den reichsten Städten der Welt. Der Glanz dieser Tage ist längst verblasst – nur nicht im Haus der Sammlerin Jenne Maag, das alle Epochen leuchten lässt.
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Auferstanden aus Ruinen: Klassische Säulen, die dem Pool einen hoheitsvollen Rahmen geben, werden von schmiedeeisernen Gartenmöbeln und einem in Chinoiserie emaillierten Tisch kontrastiert, die Maag in Connecticut kaufte.Matthieu Salvaing

Es war ein grauer Novembertag in New York, als Jenne Maag das Haus ihrer Träume fand. Nicht in Manhattan, sondern im Internet. „Und dann hab ich’s einfach gekauft.“ Gegen den Rat ihrer Freundinnen, die der Meinung waren, man müsse es zumindest mal mit eigenen Augen gesehen haben – in Kleinanzeigen scheint schließlich immer die Sonne. Da hatte Jenne Maag schon alles geregelt. „Die hielten mich für verrückt. Aber ich weiß ja, was mir gefällt.“

Ihr Instinkt hat Jenne Maag noch nie getäuscht. Nicht in den Siebzigern, als die Texanerin mittellos nach New York kam, um Designerin zu werden; nicht in den Neunzigern, als sie mit der Erfindung von Stretch-Hosen ein Vermögen machte. Das Geld steckte sie in ihre Häuser in Connecticut und Chianti – und in eine beachtliche Antiquitätensammlung. Je älter Jenne Maag aber wurde, umso stärker sehnte sie sich nach Mérida auf der Halbinsel Yucatán, einem Ort, den sie über Jahre immer wieder besuchte.

Jenne Maag auf der Terrasse ihres Hauses mit chinesischem Zinn-Kopfschmuck.

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Dame, Turm, Springer: Diesen Teil ihres üppigen Gartens nennt Designerin Jenne Maag „Schachspiel“. Seit neun Jahren ist der Park ihr Reich.

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Die Stadt ist durch den Anbau der ­Sisal-Agave Ende des 19. Jahrhunderts zu großem Reichtum gekommen. „Nirgends“, sagt Maag, „gab es damals mehr Millionäre als hier.“ Das „grüne Gold“ wurde zu Seilen und Garnen versponnen, doch mit der Erfindung der Kunstfaser zerfielen neben dem Reichtum Méridas auch seine prächtigen Villen.

Die gut 100 Jahre alte Ruine, die Jenne Maag 2004 im Internet fand, war zumindest nicht allzu baufällig: Der Brite Raymond Branham – kein Architekt, aber im Umgang mit Häusern talentiert – hatte das Gebäude im spanischen Kolonialstil rekonstruiert, mit Naturstein, schmiedeeisernen Kronleuchtern und hohen Decken, die die heiße Tropenluft gut zirkulieren lassen. „Das Rustikale war überhaupt nicht meins“, erinnert sich Jenne Maag, „aber ich habe sofort erkannt, wie fabelhaft das Haus mit seinen zwölf Meter hohen Gewölbebögen und dem Wasserbassin im Inneren des Atriums ist.“

in der Küche hängen Töpfe und Pfannen von der fünfeinhalb Meter hohen Decke herab.

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Die 120 Jahre alte, kupferverzinnte Wanne im Badezimmer stammt aus Chicago, die beinahe sakral wirkende Duschnische daneben wurde mit schwarzem Zement ausgestaltet.

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Zunächst änderte die Designerin die Farbgebung, „weg von dunklen und warmen Farben hin zu aquatischen Tönen, sehr viel kühler und sanfter“. Jedes Haus, sagt sie, verlange ja nach einem bestimmten Stil, „den suche ich nicht aus, auch wenn hier natürlich viele Dinge stehen, die ich im Laufe meines Lebens gesammelt habe“. Zwei augenfällige Beispiele im Atrium sind die an Fabelwesen erinnernden Récamièren. Jenne Maag hat diese „Monster Chaises“ gestrichen, aufgepolstert und mit Agaven gekrönt, sie wurden ursprünglich für das Bühnenbild einer Oper entworfen und gehörten zuletzt einer Freundin der Mutter. „Nach deren Tod wollte keiner sie haben, also habe ich mich ihrer angenommen.“

Das Wasserbassin im Atrium sorgt zusammen mit den hohen Decken für kühle Luft im ganzen Haus, hinten öffnet sich die Terrasse zum Garten hin. Die meisten Möbel brachte Maag aus früheren Häusern mit.

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Haus der Kulturen der Welt: In der „Opiumhöhle“ des Obergeschosses treffen Nahost (Stickerei) und Fernost (Möbel) aufeinander.

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Viele Stücke in diesem Haus haben einst mit großen Frauen zusammengelebt: Das Empirebett im Salon, der ans Atrium anschließt, stammt aus dem Nachlass des Interior-Stars Madeleine Castaing, zwei italienische Stühle von 1830 ersteigerte Jenne Maag nach dem Tod der Diplomatin Pamela Harriman. Zu ihnen gesellen sich hier im „Castaing Room“ ein Beistelltisch von Rose Tarlow, ein französischer Konsolentisch aus dem späten 17. Jahrhundert, ein florentinischer Spiegel und kristallene Wandleuchten von Baccarat. „Wie nannte das neulich einer? ‚Opulent.‘“

Das Bett aus dem Besitz Madeleine Castaings gab dem „Castaing Room“ seinen Namen. Maag kombinierte es mit einem Spiegel des 17. Jahrhunderts und einem Tisch von Rose Tarlow.

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Dabei waren wir noch gar nicht im Obergeschoss. Dessen Einrichtung mussten Möbelpacker über eine kleine Treppe neben der Küche nach oben hieven. „Ich konnte das gar nicht mit ansehen“, sagt Maag. Allein für das Tagesbett, das ihre „Opiumhöhle“ krönt (einen Raum mit Antiquitäten aus Japan und China), brauchte es drei Mann. „Opiumbetten waren in China sehr wichtig, auf ihnen tat man seinen letzten Atemzug.“ Mit jedem Raum, jedem Möbel öffnen sich Türen in neue Welten: In der „Galerie“, die Opiumhöhle und Schlafzimmer verbindet, hat Maag italienische und griechische Büsten aufgestellt. „Nichts Besonderes, aber da folge ich der Prämisse: Viel hilft viel.“ Dass das im Queen Anne-Stil gehaltene Bett im Schlafzimmer genau wie die Tischleuchten aus Kalifornien kommt, fällt zwischen japanischen Drucken, einer chinesischen Truhe und der aus fernöstlichen Elfenbeinparavents gestalteten Türen kaum auf. Das Badezimmer ist mit seiner japanischen Stickerei, der beinahe arabesken Duschnische aus schwarzem Zement und einer 120 Jahre alten kupferverzinnten Badewanne aus Chicago nicht weniger feudal. Antiken aus China mit französischer Chinoiserie? „Es ist alles und nichts, aber von allem das Beste.“

Der Schlafsaal ist ans Morgenland angelehnt, selbst wenn Himmelbett (Rose Tarlow) und Leuchte (William Morris) eigentlich aus Kalifornien stammen.

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Kopfsache: Eine Galerie verbindet die Opiumhöhle mit dem Schlafsaal.

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Ihr Haus sei eine Melange aus Hollywood und der Bibel, sagt Jenne Maag, ganz großes Drama also. Ausgeschmückt mit venezianischen Fächern, Muranovasen, Zeichnungen von Seeungetümen und alten Gemälden, von denen eines „zwar ein bisschen tacky ist“, aber der Großmutter von Gloria Swanson gehörte.

Über einer Frisierkommode aus Siena präsentiert Maag ihre Fächersammlung zwischen Muranoleuchten und venezianischen Spiegeln.

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Und irgendwie ist es jetzt wirklich so wie in „Sunset Boulevard“, wo Swanson in der Rolle der Norma Desmond sich mit ihrem Butler und einem Schimpansen in einem riesigen Anwesen verlor – eine Welt, in die Jenne Maag sich als Kind gern träumte. „Ich hatte ja nicht mal ein Schlafzimmer.“ Ihr Palast in Mérida hat gleich fünf, und manchmal staunt Jenne Maag selbst, wie absurd riesig sie hier wohnt auf 840 Quadratmetern, zwar ohne Schimpansen, aber mit einem Miniature Bull Terrier. Manchmal streift sie durch ihren Garten, um dessen Pool gewaltige Säulen verlaufen, vorbei an riesenhaften Bäumen und überlebensgroßen Köpfen der Nofretete, in die sie stattliche Bromelien gepflanzt hat, und fühlt sich ganz klein. „Wenn Freunde mich besuchen und fragen, warum hier alles so großzügig ist, dann antworte ich: ‚Wärst du auf einem Sofa groß geworden, du wüsstest es.‘“

Auferstanden aus Ruinen: Klassische Säulen, die dem Pool einen hoheitsvollen Rahmen geben, werden von schmiedeeisernen Gartenmöbeln und einem in Chinoiserie emaillierten Tisch kontrastiert, die Maag in Connecticut kaufte.

Matthieu Salvaing