© Hamed Farhangi

Blick in ein verschlossenes Land

Von FLORIAN SIEBECK

19. Mai 2017 · Die Iraner stimmen bei der Präsidentschaftswahl am Freitag über den künftigen Kurs ihres Landes an. Zuletzt öffnete sich das Land, blieb vielen aber doch fremd. Eine junge Deutsche will das ändern – und gibt Einblick in die Wohnwelten des Landes.

Lena Späth wusste, dass es an der Zeit war, zurückzukehren in das Land, an das sie ihr Herz verloren hatte. Mehrere Paukenschläge hatte es in ihrem Leben binnen kurzer Zeit gegeben; die Mutter bekam Krebs, der Freund machte Schluss, und sie verlor ihren Job. Um nicht den Kopf zu verlieren, machte die 31 Jahre alte Deutsche, die fließend Farsi spricht und in Barcelona lebt, das, was sie schon lange tun wollte: Sie schrieb ein Buch – über iranisches Design. 2008 hatte sie im Land gelebt und war immer wieder zurückgekehrt. Für ihr Buch „Behind Closed Curtains“ ist sie dann noch mal mehrere Monate lang durchs Land gezogen und hat seltene Einblicke mitgebracht in die Seele eines Landes, in dem sich das Leben meist hinter verschlossenen Türen abspielt.

© Privat Zog aus, das Leben in Iran zu erkunden: Autorin Lena Späth

In den Augen vieler Menschen aus dem Westen wird Iran von religiösen Hardlinern dominiert, die das Bild eines rückständigen Gottesstaats vermitteln. Auch nach der aktuellen Wahl des neuen Präsidenten wird sich daran wohl so schnell nichts ändern. Die Wahrheit aber ist, wie so oft, komplexer. Wie ein Flickenteppich setzt sich Iran aus vielen Kulturen und Volksgruppen zusammen. Es ist ein Land mit vielen Facetten.

So gut wie nichts weiß man darüber, wie sich die Menschen dort einrichten. Lena Späth hat sich aufgemacht, das zu erkunden. Ohne Zweifel: Diejenigen, die sie getroffen hat, sind die privilegierten Bürger, die sich einrichten können. Die Bilder von ihren Wohnungen sehen erfrischend anders aus als das Einerlei vieler Einrichtungsblogs. Da ist der weltgewandte und tief religiöse Schmuckdesigner, der sein altes Haus in Teheran zur Werkstatt ausgebaut hat. Da ist die studierte Architektin, die während des Iran-Irak-Kriegs aus Italien zurückkehrt und sich einen Paradiesgarten in die Wüste setzt. Oder eine Frau, die in Isfahan ein Haus vor dem Bulldozer rettet und ihm, nachdem sie lange in Spanien lebte, einen mediterranen Anstrich in Blau, Orange und Gelb verpasst.

Die Protagonisten für ihr Buch hat Lena Späth über persönliche Kontakte und in sozialen Netzwerken gefunden – sogar über die Anbändel-App Tinder. „Ich habe in mein Profil geschrieben, dass ich schöne Häuser suche“, erzählt sie. Die Resonanz fiel überraschend aus. Seit der behutsamen Öffnung des Landes und dem sukzessiven Ende der Sanktionen ist viel über die iranische Architektur geschrieben worden. Junge Architekten setzten gewagte Bauten in die Welt, um auf dem internationalen Parkett wahrgenommen zu werden. Lena Späth besuchte phantastische Häuser – „doch oft gibt es das Problem, dass die Architektur toll ist, aber innen sieht es leider nicht gut aus.“

© Hamed Farhangi Innenhof des 1650 gebauten und kürzlich renovierten Bekhradi-Hauses in Kaschan

Das liegt auch daran, dass es das Konzept „Einrichtung“ in Iran eigentlich nicht gibt. Meist bestimmt der Teppich den Grundriss des Hauses und nicht umgekehrt. Er ist es, der dem Ort erst einen Wert (und einen Sinn) gibt. Während man im Okzident funktional baut, baut man in Iran metaphorisch. „Bei uns dekoriert man in einen leeren Raum hinein, dort ist der Raum an sich das Dekor“, hat die Autorin beobachtet.

Frei stehende Möbel gab es bis ins 20. Jahrhundert nicht, und auch dann erst in der Oberschicht. Regale sind meist in die Wände eingelassen, Decken reich geschmückte, imaginäre Firmamente; Wände erst dann Wände, wenn die Ornamentik keinen Raum für Ergänzungen lässt. Wer Räume dekoriert, stellt sich gewissermaßen gegen die Grundfesten der traditionellen Architektur – eine Gratwanderung, der sich viele erst gar nicht stellen.

Dass sich kein iranisches Design entwickeln konnte, liegt auch daran, dass die, die es hätten etablieren können, fast alle das Land verlassen haben. Erstaunlich viele der Taktgeber des globalen Designs sind in Teheran aufgewachsen: Nina Yashar, die in Mailand die wichtige Galerie Nilufar führt. India Mahdavi, die mit ihrem „Pop-Orientalismus“ von Paris aus gerade die ganze Welt umkrempelt. Farah Ebrahimi, die als Art-Direktorin dem Frankfurter Möbellabel e15 eine sinnlichere Seite gibt. Und in Los Angeles Pamela Shamshiri, die mit ihrer kalifornischen Interpretation des Mid-Century Modern das Ace Hotel in Palm Springs zur Hipster-Oase gemacht hat.

In Iran selbst sind es vor allem die Perser mit Auslandserfahrung, die sich einzurichten wissen. Die die Metaphorik achten und die Tradition weiterentwickeln, statt sie nur als Kulisse zu nutzen. Wie Amir Morteza Besharat, der 1980 im Alter von drei Jahren nach Frankreich kam, weil seine Familie von den Revolutionären enteignet wurde. Er studierte an der prestigeträchtigen École des Beaux-Arts in Paris und arbeitete später als Stylist, bevor er seinen Eltern 2005 zurück in die Heimat folgte. Da ist er gerade 28. „Es hat sich viel zum Guten gewendet in Iran“, urteilt er heute, man könne dort mittlerweile gut leben und mit der richtigen Arbeit auch Geld verdienen.

© Hamed Farhangi Vor der zarten Seite: Der Interior Designer und der Landschaftsgärtner Amir Morteza Besharat hat ein 400 Jahre altes Haus saniert.

Nach einem Intermezzo als Interior Designer arbeitet Besharat mittlerweile als Landschaftsgärtner, aber sein Haus in Esfahan hat er trotzdem selbst eingerichtet: Im Eingangsbereich klassische Fliesen in Orange und Blau und moderne Teppiche, an der Wand zurückhaltende Ornamentik und Kalligraphien persischer Gedichte. Andernorts ein gekachelter Boden so komplex wie ein Läufer, der das Bild einer traditionellen Sonnenfrau zeigt, deren Abbild das Spiegel-Mosaik an der Decke reflektiert. Das Schlafzimmer öffnet sich zum Badezimmer hin mit einer frei stehenden Badewanne in der Mitte des Raumes. In der Nacht leuchten über ihr durch ein Dachlicht die Sterne.

Das Haus von Amir Morteza Besharat ist fast 400 Jahre alt. Den meisten Iranern ist die Idee der Bestandserhaltung fremd. Obwohl Persien auf ein reiches architektonisches Erbe zurückblicken kann (Persepolis!), werden täglich alte Häuser abgerissen. „Man hat das Gefühl, mit der islamischen Revolution wurde die Geschichte und Kultur des Landes vollkommen vergessen“, schildert Lena Späth ihren Eindruck. Selbst der Schah, der dem Fortschritt recht unbekümmert alte Bausubstanz opferte, bewies mehr Fingerspitzengefühl. Nach der Revolution kam der Erste Golfkrieg, viele Häuser wurden zerstört und schnell wieder aufgebaut. Die Sanktionen der Vereinigten Staaten, die 1995 verhängt und 2006 verschärft wurden, ließen Architekten fast keinen Spielraum. Öffentliche Gebäude wurden kaum mehr gebaut, wohlhabende Privatleute ließen sich palastartige Villen zwischen Hochhäuser pflanzen. Am Fuße des Elburs-Gebirges in Teheran, wo früher große Gärten blühten, werden jetzt reihenweise leerstehende Hochhäuser nach oben gezogen, die die Grundbesitzer über Nacht zu Millionären machen. Selbst eine Villa von Gio Ponti steht kurz vor dem Abriss und viel schlimmer noch: Das Kunsthandwerk des Landes ist mittlerweile fast ausgestorben.

© Hamed Farhangi Kam zurück: Designerin Shahnaz Nader

Doch es gibt Gegenwind. In wohl keinem Ort ist die Rückbesinnung auf alte Werte so radikal sichtbar wie in Kaschan, einer Stadt im zentralen Hochland von Iran, drei Stunden südlich von Teheran. Als die Unternehmerin Saba Manouchehri dort 2008 ein Haus aus dem 19. Jahrhundert kaufte und bekanntwurde, dass die lokale Regierung ihre Restaurationspläne finanziell unterstützte, starteten die Anwohner eine Petition für den Abriss. Geld für alte Häuser? „Es fehlt einfach an der Bildung“, sagt die Designerin Shahnaz Nader, die damit betraut wurde, das Haus – einst Residenz eines Händlers – zu modernisieren. „Wir sind nicht dazu erzogen worden, die Vergangenheit zu schätzen.“

Doch das Projekt gelang: 2011 eröffnete das „Manouchehri“. Heute ist das Boutique-Hotel eine der besten Adressen im Land, vereint guten Service und gutes Design auf mehr als 1000 Quadratmetern. Das Wasserbecken und der typische Portikus im Innenhof wurden erneuert, traditionelle Buntglasfenster kühlen die Innenräume und setzen sie in ein facettenreiches Licht. Besonderes Augenmerk verdienen die Muqarna – kunstvoll gearbeitete Gewölbe mit spitzbogenartigen Elementen, die in- und übereinanderliegen. Im 10. Jahrhundert kamen sie im Nordosten Persiens auf und sollten sich später in der gesamten islamischen Welt verbreiten. Shahnaz Nader brachte auch das iranische Tagesbett nach draußen, integrierte zurückgenommene Möbel hie und da. An vielen Stellen ließ sie altes Handwerk wieder aufleben.

Nader lebte lange nicht in Iran, aber mittlerweile ist sie zurück. Nach Jahrzehnten in Tokio, London und New York ist das ein bezeichnender Schritt. Sie wuchs in Teheran und Tokio auf, ging dann in England zur Schule. In New York studierte sie, gegen den Willen der Eltern Interior Design. Mit einem Abschluss kehrte sie 1968 nach Iran zurück. Sie fing an, als Einrichterin für Knoll in Teheran zu arbeiten, und stattete einen der Paläste von Saadabad aus. Bei Knoll lernte sie auch ihren Mann kennen, mit dem sie zusammen ein Designbüro gründete. Als Ajatollah Chomeini 1979 aus dem Pariser Exil kam, zog das Paar an die Seine.

Schon 1996 kehrten beide wieder zurück. Mit mittlerweile 73 Jahren ist Shahnaz Nader noch immer aktiv. Sie gestaltet kunstfertige Gegenstände, die sich gut verkaufen. Und sie restauriert Häuser. Gleich drei Objekte, die Lena Späths Buch zeigt, hat sie eingerichtet. Warum so wenige Iraner sich gut einrichten? „Es ist eine Frage der Neugier“, sagt sie. „Um sein Auge zu schulen, ist es wichtig zu reisen. Etwas von der Welt zu sehen.“ Das können die meisten Iraner nicht.

Der Bau des „Manouchehri“ markierte eine Zeitenwende in Kaschan. Selbst die Kleriker, die anfangs gegen den Bau protestierten, gestanden ein, dass ihnen das Ergebnis doch recht gut gefalle. In Kaschan wurden seitdem Hunderte alter Häuser restauriert, die meisten von ambitionierten Frauen. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Stadt so verändert, dass sie kaum wiederzuerkennen ist. Heute ist Kaschan der Rückzugsort für gestresste Teheraner, die eine Auszeit von der benzingeschwängerten Luft der Millionenmetropole brauchen.

  • © Hamed Farhangi Moderner Anstrich: Ali Ravanpak renovierte das Haus seiner Eltern in Kelarabad.
  • © Hamed Farhangi Traditionell: Muqarna-Gewölbe in der Wohnung von Amir Morteza Besharat
  • © Hamed Farhangi Deckenschmuck im Haus von Besharat: Das Abbild der Sonnenfrau wird vom Spiegel-Mosaik reflektiert.

Auch Nader, die eigentlich in der Hauptstadt lebt, hat sich dort ein Häuschen gekauft. 18 000 Euro hatte sie für die Ruine bezahlt, mehr als eine Viertelmillion Euro verschlang die Renovierung. „Es war jeden Cent wert“. Sie änderte am Grundriss nicht viel und stellte den Urzustand des Hauses wieder her. Die alten Häuser in Kaschan, sagt sie, seien dekorativ genug. „Die Leute saßen auf dem Fußboden, und der Gestaltungsschwerpunkt lag auf Kacheln und Teppichen. Iranische Möbel gab es praktisch nicht.“ Vier Schlafzimmer hat sie dort jetzt, bunte Fenster, ein Büro, zwei Gärten, ein langgezogenes Wasserbecken, kunstvolle Decken. Die Kissen bezog sie mit alter Seide. „Ich wollte immer in dieses Land zurück“, sagt Nader, die als einziges der vier Kinder wieder in der alten Heimat lebt. „Vielleicht war ich zu jung, als ich gegangen bin, und hatte Sehnsucht nach der Heimat. Wo auf der Welt ich auch war: Ich habe immer von diesem Ort geträumt.“

Im kommenden Jahr will sie in Kaschan einen eigenen Laden eröffnen, mit Produkten made in Iran. Ein Konzept, das boomt in einem Land, das sich verstärkt nach einer eigenen Identität sehnt. In der Hauptstadt Teheran haben in den vergangenen Jahren viele Concept Stores eröffnet. Einer der besten ist Zeeen, ein junger Laden, der 2013 aus einer 120 Jahre alten Teppichfirma hervorging und seinen traditionsreichen Zulieferern faire Arbeitsbedingungen und umweltfreundliche Produktion abverlangt. Und auch Marken aus dem Abendland trauen sich mit dem langsamen Ende der Sanktionen wieder ins Land. Einige waren in Teheran schon vorher über halblegale Konstrukte via Dubai vertreten, mit Molteni kam im Mai 2016 die erste italienische Edelmarke zurück ins Land. In der ehemaligen belgischen Botschaft von Teheran errichtete sie einen Flagship-Store. Es ist ein Markt, der sich lohnt: „Anders als in Europa statten Kunden in Teheran lieber ihre ganze Wohnung mit einer Marke aus“, berichtet Molteni-Chef Marco Piscitelli. Besonders die Armani-Küchen verkauften sich – es stecke eben ein bekannter Name dahinter.

© Hamed Farhangi Mediterran: Das Haus von Sufi Shahidzadeh Falsafi in Esfahan

Für die Jungen ist es immer noch ein Vabanquespiel. „Der Gedanke, der bei uns vorherrscht“, sagt Lena Späth, „dass guter Stil nicht viel mit Geld zu tun hat, sondern mehr mit guten Ideen – so weit ist man in Iran noch nicht.“ Wie auch? Angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit sind Statussymbole als Zeichen des Aufstiegs geschätzt. Und die Jugend sehnt sich nach höherer Lebensqualität. Von den 80 Millionen Menschen, die im Land leben, sind 70 Prozent jünger als 35 Jahre.

Wer keine Perspektive hat, wird mitunter kreativ: „Heute verkaufen junge Menschen Stoffe, altes Kunsthandwerk und Hängematten auf Flohmärkten“, erzählt Lena Späth. „Und im Internet.“ Genauer gesagt über Apps – Shops auf Instagram und Telegram sind die Handelszentren der iranischen Jugend. „Du siehst ein Produkt, rufst an und holst die Ware ab oder lässt sie dir schicken.“

So nähert sich ein Land, das lange des Westens bester Verbündeter in der Region war und dann um Jahrzehnte zurückgeworfen wurde, wieder der Gegenwart an – und trifft dabei sich selbst. „Der Sinn fürs Schöne kommt langsam zurück“, meint Shahnaz Nader. Während man international Film, Fotografie und Grafikdesign aus Iran schätze, sei das Möbeldesign und das Feld der Innenarchitektur noch unterentwickelt.

Das hat auch Lena Späth beobachtet: „Erst wenige merken, wie viele Möglichkeiten sich ihnen im eigenen Land bieten.“ Ihr Buch ist nicht nur ein Streifzug durch Granatapfelgärten und kunstfertige Wohnungen mit vielen Überraschungen, sondern erlaubt auch Einblick in das moderne, aber Außenstehenden immer noch verschlossene Innenleben Irans.

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