Für die Models auf die Treppe

Einen Modemenschen, der sich auf die Damentoilette zubewegt, fragt sie: „Sind Sie eine Dame oder ein Herr?“ – „Herr“ – „Dann bitte auf die andere Seite!“ Marta Dubberke beugt sich herüber und fügt hinzu: „Hier muss ich vorsichtig sein. Manchmal sieht man das ja nicht so genau, gerade bei den mutiger angezogenen Menschen.“

Marta Dubberke ist von Anfang an dabei. Schon auf der ersten Berliner Modewoche 2007 hat sie Toiletten geputzt. Seither kommt sie jede Saison wieder. Ihre Tochter, 57 Jahre alt, holt sie mit dem Auto ab, beide stehen um 7.30 Uhr vor dem Zelt, putzen, frühstücken, putzen, essen zu Mittag, putzen, essen zu Abend, putzen. Ein eingespieltes Team, dreizehneinhalb Stunden, jeden Tag. Bis zum Wochenende, als die „Mercedes-Benz Fashion Week“ zu Ende ging. In wenigen Tagen wird Marta Dubberke 80 Jahre alt.

Nötig hätte sie es nicht. Aber sie arbeitet mittlerweile seit 66 Jahren. Zu Hause fiele ihr vor Langeweile die Decke auf den Kopf. Mit 14 begann sie, in einem Thüringer Ferienheim Kartoffeln zu schälen: „In der Nachkriegszeit war man ja um Arbeit froh.“ Dann kam sie nach Berlin und wurde „von der Stasi kassiert“. Fortan schälte sie Kartoffeln in der Normannenstraße. Zwischendurch musste sie nach Wolletz bei Angermünde, in ein Gästehaus des Ministeriums, später Mielkes Jagdschloss.

„Die haben nur gefressen, gesoffen und Leute schikaniert.“ Wenn der russische Botschafter kam, habe er lieber bei den Chauffeuren geschlafen als im Gästehaus. „Das war ein Verein von arbeitsscheuen Menschen, die viel Geld verdient haben.“ Nur ein halbes Jahr machte sie das beim Ministerium für Staatssicherheit. Irgendwann ging sie einfach nicht mehr hin. „Und die hätten einen Teufel getan, mich wieder zurückzuholen.“

Hier im Zelt huschen alle an ihr vorbei, manche lächeln hastig. Die Wesen im Blitzlicht interessieren Marta Dubberke nicht. „Die kenne ich gar nicht.“ Aber wenn die Models kommen, mit ihrer makellosen Haut, den langen Beinen, den schönen Kleidern, stellt sie den Mopp beiseite, steigt einige Stufen hinauf auf die Treppe am roten Teppich. „Dann kriege ich Gänsehaut.“ Wenn jemand sie auf Englisch anspricht, sagt Marta Dubberke nur: „Tut mir leid, ich verstehe Sie leider nicht.“ Dabei war sie auch schon in Paris. Die Reise hatte ihre Tochter in einem Preisausschreiben gewonnen. Aber das war nicht ihre Welt. „Ich habe ja nichts verstanden da.“

Mit 19 heiratete sie ihren Heinz, der bei „Knorr Bremse“, einem Unternehmen für Eisenbahnbremsen, arbeitete und später Gewerkschaftsfunktionär wurde. „Wir waren ein richtiges Traumpaar, immer die Ersten auf der Tanzfläche. Es war eine schöne Zeit, vielleicht die schönste meines Lebens.“ Gegen Ende der Fünfziger begann sie, im Kabelwerk Oberspree zu arbeiten. „Da bin ich Mensch geworden.“ Sie lernte, machte ihren Meister in Elektrotechnik, wurde Vorsitzende des Frauenausschusses und genoss es, im Mittelpunkt zu stehen.

Die jungen Leute, die Studierten, machten ihrem Heinz schwer zu schaffen. Er verlor den Mut und hörte auf zu arbeiten. „Er saß nur noch zu Hause und wollte sich bedienen lassen. Aber das mache ich nicht.“ Sie reichte die Scheidung ein, der Kontakt verlor sich, Heinz zog ins Heim. Jeden Tag studierte Marta Dubberke die Todesanzeigen. Nur ein Jahr später starb er. Zwei Jahre darauf, 1976, wurde sie schwer krank. Sie war der harten Arbeit im Kabelwerk nicht mehr gewachsen, wurde Verkäuferin für Autoersatzteile, arbeitete für andere mit, bis zur Wende, bis zur Währungsunion. Da trommelte der Chef alle Mitarbeiter zusammen. Und eine der Jüngeren sagte zu Marta: Du bist zu alt, das ist jetzt mein Verkaufsbereich, setz dich in den Keller und lies Zeitung. „Es war an der Zeit zu gehen.“

Sie arbeitete im Kiosk am U-Bahnhof Leinestraße, aber es rentierte sich nicht. Sie las Annoncen, arbeitete in einer Imbissbude am Olympiastadion, 13 Jahre lang. Dann hörte ihre Chefin aus Altersgründen auf. Marta Dubberke stand wieder ohne Arbeit da, 70 Jahre alt. Also begann sie, Toiletten zu putzen. „Am Anfang war mir das sehr peinlich“, sagt sie, „wenn die Leute abfällig über meine Arbeit reden.“ Jetzt ist es ihr egal. „Heute sage ich, wie es ist: Ich bin Toilettenfrau, und das ist mein ganzer Stolz.“

Auf der Grünen Woche putzt sie, auf dem „Baumblütenfest“ im brandenburgischen Werder, auf der Fashion Week im Herzen Berlins. Jeden Tag freut sie sich auf die nächste Saison. Weil alle so freundlich und schön sind. Und weil kaum einer Jeans trägt. Sie mag Seide, Mikrofaser, Organza. Alles was fließt, am liebsten in Rot. Vor einem halben Jahr durfte sie in eine Schau. „Wie in einem Bilderbuch war das, ganz toll. Diese Eleganz ist wirklich unbeschreiblich.“

Ein Kleid hat sich Marta Dubberke jetzt auch gekauft, in Anthrazit. Die Tochter sagte: „Mutti, jetzt gönn dir auch mal was.“ Also ging sie in eine Boutique im Zentrum Schöneweide und kaufte es. Ein langärmeliges Kleid aus Mikrofaser, kombiniert mit einem ärmellosen Wollmantel. Neulich trug sie es zum Kaffeeklatsch, da lobte die Kellnerin das elegante Outfit. „Ein tolles Gefühl.“ Sie zieht das Kleid nur zu besonderen Anlässen an, denn es hat 70 Euro gekostet. „Das ist ein Haufen Geld.“

Am Anfang war es ihr peinlich, sagt Marta, heute ist es ihr ganzer Stolz.

Erschienen in Frankfurter Allgemeine Zeitung am 19. Januar 2013.



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