In dieser Bar in Reykjavík feiern Memphis und Miami Vice ein Revival

Mit Pastellfarben gegen die Unbilden der Natur: Wer ins Florida der Achtziger katapultiert werden will, kann auch nach Island fahren – in die „Bar Miami“
„Bar Miami“ in Reykjavík
Jón Guðmundsson

Der Winter in Island kann hart sein und unerbittlich, und wenn die Isländer ihm nicht in Teneriffa entsagen, dann neuerdings in South Beach, Miami – sie müssen dafür nicht mal das Land verlassen. „Ein Besuch in der ‚Bar Miami‘ ist wie eine Pause von Reykjavík“, sagt Daniel Freyr Atlason von Döðlur Studio, der das Design des neuen Hotspots in der isländischen Hauptstadt verantwortet. „Es soll sich anfühlen wie ein Luxushotel aus den Achtzigern, das gerade renoviert wurde. Eine fast vergessene Ikone, die irgendwie aus der Zeit gefallen scheint.“

„Die Bar soll sich anfühlen wie eine Lounge – überall ist der ‚beste Platz des Hauses‘ und man kann die Füße hochlegen“, sagt Designer Daniel Freyr Atlason.

Jón Guðmundsson

Hinter dem Tresen geht die Sonne in Neonröhren unter …

Jón Guðmundsson

… und hinter dem Badezimmerspiegel wieder auf.

Jón Guðmundsson

Die Bar weckt starke Erinnerungen an die Kulisse der Kultserie „Miami Vice“, das die amerikanische Metropole zwischen Art Deco, Pop Art und aufkeimender Postmoderne in den Achtzigerjahren vom Moloch zur „Capital of Cool“ katapultierte. „Einer der Inhaber, Gunnstein Helgi, schickte mir den Link zu einem Musikvideo und fragte mich, ob ich eine Bar mit ihm gestalten wolle“, sagt Atlason. Gesehen hatten die beiden sich vorher nie, aber das ist in Island nicht weiter hinderlich: Sie waren sich schnell einig, dass Reykjavík keine weitere Bar mit unverputzten Wänden und LED-Filamenten brauchte. „Wir haben uns viel mit Memphis beschäftigt und mit einem jungen Modedesigner namens Armani. Wir hatten sogar ein Meeting ohne Socken, was bei dem Wetter hier aber keine gute Idee ist.“

Die „Bar Miami“ liegt, eingebettet zwischen der dänischen Botschaft und dem Isländischen Nationaltheater, in Hverfisgata, dem einstigen „Schattenviertel“ Reykjavíks, das sukzessive gentrifiziert wird. Und es macht den Anschein, als sei die Direktive des damaligen „Vice“-Produzenten Michael Mann – „keine Erdtöne!“ – auch in der „Bar Miami“ berücksichtigt worden: Roter Teppichboden, eine Reminiszenz saturierter Töne und indirektes Licht mit viel Pastell. Selbst an Flamingos und erotische Nuancen wurde gedacht, beides griff die Künstlerin Elena Vizerskaya in einer Fotografie auf.

Miami ohne Flamingos? Keinesfalls – das Bild in der Bar stammt von der Künstlerin Elena Vizerskaya.

Jón Guðmundsson

Mobiliar und Tresen der Bar wurden von Döðlur Studio entworfen …

Jón Guðmundsson

… ebenso das Design des „Powder Rooms“.

Jón Guðmundsson

Der größte Teil des Interieurs wie Sitzmöbel und Bar samt subtropischem Neon-Sonnenuntergang stammt von Döðlur (gefertigt wird in Polen bei North East Traders) – auch der Ping-Pong-Raum im Keller, der an Memphis angelehnt ist, jene Bewegung, die in der Abkehr von der traditionellen Formgebung bekanntermaßen gegen jeden guten Geschmack anzukämpfen suchte. Ergänzt wird das Interieur von Klassikern aus den Achtzigern wie der „Tahiti Lamp“ (Ettore Sottsass) und dem „Ekstrem Lounge Chair“ (Terje Ekström), an der Wand leuchten Apollo (André Cazanave) und „Tit Lamp“ (Studio Job für Venini).

In Anlehnung an Giorgio Armanis pastellfarbene, dekonstruierte Leinen-Anzüge in „Miami Vice“ tragen die Mitarbeiter weiße, zweireihige Blazer mit Schulterpolstern, blaue Hemden und Mokassins. Ein Gastgeber begleitet jeden Besucher zu seinem Platz. „Es soll sich anfühlen wie eine Lounge – überall ist der ‚beste Platz des Hauses‘, man kann die Füße hochlegen und ein oder zwei Drinks genießen. Es gibt keinen Dancefloor und keine Snacks, nur Cocktails und gute Laune.“ Auf dem Menü stehen Drinks, die es in den Achtzigern in jeder Cocktailbar von Miami gab, „so widerlich sie auch geschmeckt haben mögen“.

In einer Zeit, in der größer werdende Distanz und Nostalgie die Achtziger mit neuer Resonanz und Euphorie aufladen, könnte die „Miami Bar“ durchaus erfolgreich sein – wie damals, als sich Memphis zur Antithese zum stromlinienförmigen Mid-Century-Design erhob. „Aufgrund der oft kleinen Budgets müssen wir sehr einfallsreich sein, wenn wir ehrgeizige Projekte wie Miami in Island umsetzen wollen“, sagt Atlason. Möbel und Uniformen soll es deshalb bald zu kaufen geben, und neue Stücke sollen die Bar ergänzen. Blauer Ozean und lavendelfarbener Horizont, ein bisschen heruntergekommen und trotzdem unfassbar sexy – so viel anders als Miami sieht Reykjavík schließlich gar nicht aus.

Im Keller der Bar gibt es einen Ping-Pong-Club. Jeden Montag wird ein Ping-Pong-Meister gekürt – und das beste Outfit.

Jón Guðmundsson